Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens Der Manipulator

Der Manipulator

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P ersönlich habe ich nur die besten Erfahrungen mit Hans Dichand gemacht: Als ich ihn darauf hinwies, dass eine Witwe, die kleine Musikkritiken für ihn geschrieben hatte, einem Gehirnschlag erlegen war, sodass zwei minderjährige Kinder unversorgt zurückblieben, überwies er ihnen einen satten Geldbetrag. Als meine Mutter ihm als Generalsekretärin der Freud-Gesellschaft von deren Finanzproblemen
erzählte, tat er das Gleiche. In beiden Fällen mag eine Rolle gespielt haben, dass er sich gegenüber einem profil-Herausgeber, der ihn ständig kritisierte, nobel zeigen wollte. Aber als ich nach meinem Strafprozess trotz Freispruchs ganz unten war, bot er mir eine Kolumne zum Vierfachen dessen an, was profil mir bezahlt. Auch vor wenigen Jahren hat es noch einmal diesbezügliche Verhandlungen gegeben, aber als „Muster“ lieferte ich ihm einen Text, in dem ich meinte, Israel töte zwar „gezielt“ Terroristen, aber das sei immer noch besser, als wenn diese Terroristen „ungezielt“ völlig Schuldlose töten. „Wenn Sie immer noch so gezielt gegen die Mehrheit schreiben, können wir wieder nicht zusammenkommen“, sagte er. „Ich weiߓ, sagte ich, „ich dachte nur, Sie könnten inzwischen akzeptieren, dass es in Ihrer dicken Zeitung auch
einen gibt, der gegen den Strom schreibt.“ „Das wäre gegen unser Erfolgsprinzip“, sagte er. Das war unser letztes Zusammentreffen.

Das erste war ein virtuelles: Anlässlich der ersten Nummern der „Kronen Zeitung“ im Jahr 1959 widersprach ich meinem Ressortchef Franz Kreuzer energisch, dass sie demnächst unterginge, wie das damals allgemeine Branchenansicht war. Hans Dichand hätte vielmehr als Einziger erkannt, dass eine „gute Story“, selbst wenn sie mit drei Tagen
Verspätung erscheint, für den Leser weit attraktiver als die schnellste Meldung sei. Ich habe das 1970 auf profil übertragen: Meine erste Titelstory zur „Kronen Zeitung“ hatte 14 Seiten. Ihr folgte eine ähnlich lange Serie über den „Kriminalfall ,Kronen Zeitung‘“: Österreichs größte Tageszeitung, die Hans Dichand und seinem Partner Kurt Falk zu Beginn nur zu einem Drittel gehörte, gehörte ihnen am Ende ganz. Ein deutscher
Kaufmann gab seinen Anteil ab, nachdem ihm weisgemacht worden war, die florierende Zeitung stünde nicht so gut da. ÖGB-Präsident Franz Olah, dem aus meiner Sicht anfangs zwei Drittel gehörten, wurde in einem Strafprozess vorgeworfen, er habe zu diesem Zweck ÖGB-Geld veruntreut, worauf er energisch jede Beteiligung bestritt. Dichand &
Falk brauchten bloß nicht zu widersprechen. Später kaufte ein Abenteurer Franz Olah dessen verbliebene Belege für sein „Krone“-Eigentum ab, und am Ende mündete der „Kriminalfall“ in einen großen Vergleich. Hans Dichand und ich grüßten einander nicht mehr ganz so freundlich – aber das änderte sich, als ich ihm sagte:

„Juridisch gesehen hat diese Zeitung meiner Ansicht nach mehrheitlich Olah gehört, aber moralisch gesehen ist Ihnen diese Mehrheit zugestanden: Nur Sie haben die ,Kronen Zeitung‘ gemacht.“
Er sagte nicht „Ja“, aber er schüttelte mir die Hand. Ich müsste lügen, wenn ich schriebe, Hans Dichand sei mir unsympathisch gewesen.
Er war nur eine Katastrophe für Österreich: Sein richtiges Gespür, dass die „gute Story“ der schnellen Information überlegen ist, degenerierte zu der Überzeugung, dass „Information“ irrelevant sei. Wichtig war ihm nur mehr, dass die „Kronen Zeitung“ die Emotion des Lesers bestmöglich
befriedigt. Im Allgemeinen war diese Emotion eine dumpfe: für
„uns“, die wir fleißig, anständig und gut sind, und gegen „die andren“, die faul, gierig und neidig sind (wobei „Ausländer“ zwangsläufig eher zu den anderen gehören). Für die „Wehrmachtsgeneration“, die durch Ausstellungen über angebliche Verbrechen in den Dreck gezogen werden soll, und gegen „Nestbeschmutzer“. Für „Leistungsträger“ und gegen „Sozialschmarotzer“.

Im Großen und Ganzen deckten sich die Positionen der „Krone“ fast durchwegs mit denen der FPÖ, auch wenn sie diese Partei nie direkt unterstützt hat. Der Aufstieg Jörg Haiders oder H. C. Straches ist ohne Dichand nicht denkbar. Aber auch sein Einfluss auf konkrete politische Vorhaben war bis zuletzt enorm: In jedem Vorstand jeder Regierungspartei pflegte man sich vor Beschlüssen zu fragen: „Und was
wird die ,Krone‘ dazu sagen?“ Die Quellensteuer wurde durch Jahre nicht eingeführt, weil die „Krone“ sie als „Sparbüchlsteuer“ diffamierte. Derzeit wettert sie erfolgreich gegen die Vermögensteuer, ohne dass einem ihrer Leser je aufgefallen wäre, dass Hans Dichand zu Österreichs vermögendsten Erblassern zählt.

Das „Krone“-Charakteristikum ist die Kampagne. Kernkraftwerke, die ihr nicht passen, werden zu „Schrott“. Personen, die ihr nicht passen, werden nicht kritisiert, sondern fertiggemacht. Letztes prominentes Opfer war Ursula Plassnik, die, anders als die „Krone“, nichts von einer Volksabstimmung über den Lissabon-Vertrag wissen wollte. Was
es bringt, wenn man sich Dichands Votum unterwirft, demonstriert
Werner Faymann mit seiner Kanzlerschaft. Frau Rosenkranz’ Scheitern war nur ein rarer Betriebsunfall. Nicht, dass die „Krone“ sich immer für die falsche Sache einsetzte, aber sie tat es fast immer mit den falschen Mitteln: kaum je im Wege der Information, fast immer im Wege der
Manipulation. Dass es Hans Dichand nicht mehr gibt, wird nicht nur
die „Krone“, es wird das Land verändern.

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