Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens Vom Wert maximaler „Abschreckung“

Vom Wert maximaler „Abschreckung“

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Zu den wenigen politischen Initiativen, die Außenminister Michael Spindelegger ausdrücklich unterstützt, zählt Ägyptens Forderung nach einer atomwaffenfreien Zone im Nahen Osten. Vonseiten jener Araber und Muslime, denen die Existenz Israels nach wie vor ein Dorn im Auge ist, ist diese Forderung vernünftig: Ohne seine Atomwaffen lässt sich der Judenstaat vielleicht doch noch aus den Geschichtsbüchern eliminieren. Aber was bewegt Österreichs Außenminister, die ägyptische Initiative zu unterstützen?

Dass sie von Erfolg gekrönt sein könnte, kann er kaum erwarten: Es ist auf Jahrzehnte hinaus kein Szenario denkbar, in dem ­Israel darauf verzichtete, seine Existenz durch die Fähigkeit zum vernichtenden Atomschlag abzusichern. Wohl aber kann die Initiative erreichen, dass Israel in zusätzliche außenpolitische Bedrängnis gerät: als jenes böse Land, das sich, anders als seine friedliebenden Nachbarn, weigert, auf Atomwaffen zu verzichten.

Ich weiß nicht, ob Österreich wirklich dazu beitragen muss, den Judenstaat in diese Rolle zu drängen.

Da ich Spindelegger nicht Antisemitismus unterstellen will, glaube ich, dass seine Haltung auf einem weitverbreiteten Missverständnis beruht: der Vorstellung nämlich, dass eine Region sicherer würde, wenn man Atomwaffen daraus entfernt. Denn das Gegenteil ist der Fall: Die Gefahr, dass etwa der Iran Israel angriffe, nähme dramatisch zu, wenn Teheran nicht um dessen Atomraketen wüsste.

Hätten die USA und die UdSSR keine Atomwaffen be­sessen, so wäre die Gefahr eines dritten Weltkriegs ungleich größer gewesen als im beidseitigen Wissen um ihre atomaren Rückschlagkapazitäten. Und auch Europa war im Kalten Krieg sicherer, weil die USA den Einsatz von Atomwaffen bei einem sowjetischen Vorstoß nicht ausschlossen. Heute ist ein großer Krieg zwischen Pakistan und Indien durch den beidseitigen Besitz von A-Bomben so gut wie ausgeschlossen. Gefährlich ist nur die Weitergabe von ­A-Waffen an irrationale Gruppierungen.

Überall dort, wo auch nur halbwegs rationale Regime an der Macht sind, ist die Existenz von Atomwaffen der beste Schutz vor existenziellen Kriegen, weil kein Angreifer das atomare Fanal riskiert. So leisten Atomwaffen in Wirklichkeit seit 67 Jahren einen entscheidenden Beitrag zum Frieden. Obamas Forderung nach einer atomwaffenfreien Welt setzt diesen Frieden durch Angst aufs Spiel – es sei denn, er meinte eine weit entfernte Zukunft.

Ich wollte diese Überlegungen zu Spindeleggers wie Obamas schön klingenden, aber wenig durchdachten Worten zwar schon lange loswerden, aber eigentlich will ich über die Verteidigung des Euro schreiben: Auch er kann nur durch die Drohung mit der stärksten denkbaren finanzpolitischen Waffe wirksam geschützt werden.

Dass er so viel gefährdeter als der Dollar ist, obwohl die USA so viel dramatischer verschuldet sind, liegt daran, dass die USA diese stärkste Waffe besitzen: Die Fed kann jede Maßnahme zur Abwehr eines ernsthaften Angriffs auf den Dollar ergreifen – daher wird er gar nicht erst versucht. Der Eurozone fehlt diese abschreckende atomare Bewaffnung: Der ESM ist unverändert zu klein – die EZB hat unverändert zu wenig Vollmachten.

Die starken Mitglieder der Eurozone begreifen nicht, dass das, was sie fürchten – nämlich die Untergrabung des Geldwerts durch die Aktionen einer omnipotenten EZB im Verein mit einem Mega-ESM –, gar nicht stattfände, wenn sie diese Waffe endlich in Stellung brächten. Die Spekulation gegen den Euro fände nicht statt, wenn jeder, der sie in Betracht zieht, wüsste, dass die Eurozone zu seiner Verteidigung über die Mittel der USA verfügt. (Dass die Fed nicht nur Geld druckt, um den Dollar zu verteidigen, sondern auch, um die Wirtschaft anzukurbeln, ist ein anderes Kapitel, das meines Erachtens weniger gut ausgehen wird.)
Wenn ein Tochterunternehmen eines Weltkonzerns in Schwierigkeiten gerät und einen Überbrückungskredit braucht, dann wird er das Geld dafür zu den Konditionen aufnehmen, die ihm dank seiner sonstigen Größe und Stärke offenstehen – nicht zu den schlechteren Konditionen, die die defizitäre Tochtergesellschaft in Kauf nehmen müsste.

Ähnlich vernünftig wäre es, wenn die Eurozone Kredite zu den günstigen Bedingungen aufnähme, die ihr als „Block“ zur Verfügung stünden, statt dass Italien oder Spanien sich aus teuren Krediten finanzieren müssen. Freilich müsste gesichert sein, dass sie diese Kredite sinnvoll nutzen: Deshalb dürften sie nicht zu billig und müssten an Auflagen gebunden sein.

Wenn man die Forderung nach Eurobonds mit der Forderung nach kontrollierter Verwendung vereint, ist man bei der „Fiskalunion“, wie sie Angela Merkel vor einem halben Jahr erhoben hat und SPD-Chef Sigmar Gabriel sie heute erhebt. Aber prompt werfen auch die Spitzen der CDU ihm jetzt vor, das Geld braver, fleißiger Deutscher zugunsten unbelehrbarer Südländer zu riskieren.

Das Fatale ist, dass sie bezüglich der Griechen Recht ­haben könnten – so unberechtigt ihre Sorge überall sonst ist.

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