Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens Weisungs(un)recht

Weisungs(un)recht

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Ein Richter, der von einem Baumeister zigtausend Euro annimmt und nicht wegen Amtsmissbrauchs verfolgt wird; ein Landespolitiker, dem ein Prozess wegen Amtsmissbrauchs erspart bleibt, obwohl der objektive Tatbestand unzweifelhaft erfüllt ist. Die „Weisungen“ der Justiz, die der „Falter“ bisher veröffentlicht hat, sind so abenteuerlich, dass selbst Bundespräsident Heinz Fischer rät, das Weisungsrecht zu überdenken. Neu ist das Problem bei Gott nicht: Durch Jahrzehnte hat profil Strafverfahren aufgezeigt, die von der Staatsanwaltschaft eingestellt oder nur widerwilligst betrieben wurden.

Höhepunkte: Der Verzicht, ein Konto bei einer Wiener Bank zu öffnen, auf das nach Informationen eines Bauring-Ex-Mitarbeiters – Alfred Worm – Millionen aus einem Großauftrag rückgeflossen waren.

Der energische Versuch der StA Wien, das Verfahren wegen Korruption beim Wiener AKH einzustellen, obwohl Firmenchefs angaben, Zahlungen auf ein Liechtensteiner Konto entrichten zu müssen, um Aufträge zu erhalten.

Oder das endlose Hinauszögern einer Anklage gegen Hannes Androsch wegen Steuerhinterziehung oder gegen den Gründer des Club 45, Udo Proksch (bei dem die gesamte rote Prominenz verkehrte), wegen fünffachen Mordes. Schon vor mehr als 30 Jahren hatte profil eine „Revolte in der Staatsanwaltschaft“ zur Titelgeschichte: Die kürzlich verstorbene Staatsanwältin Klothilde Eckbrecht-Dürckheim hatte sich öffentlich gegen Weisungen ihres Behördenleiters Otto F. Müller verwahrt. Müller behauptete, äußerstenfalls „jungen Kollegen Ratschläge“ erteilt zu haben.

Die „junge Kollegin“ Eckbrecht vermerkte im „Tagebuch“ (das jedes Verfahren begleitet), dass Müller von ihr die „unbedingte“ Enthaftung eines bestimmten Verdächtigen gefordert habe. Müller sah die Eintragung und strich das Wort „unbedingt“. Eckbrecht verfasste einen Aktenvermerk: „Die Streichung durch den Behördenleiter erfolgte zu Unrecht.“ In dieser Situation ließ Müller den Enthaftungsantrag nach Dienstschluss in Abwesenheit Dr. Eckbrechts und des zuständigen U-Richters durch Boten beim Journalrichter einbringen, der ihm in Unkenntnis des Falls stattgab.
Eckbrecht-Dürckheim erhielt ein Disziplinarverfahren und wechselte in die Richterschaft. Otto F. Müller wollte (Achtung „Falter“!) die Polizei beauftragen, die Telefone des profil abzuhören, scheiterte aber an deren technischen Einwänden.

Ich beschreibe Dr. Müllers Rolle so genau, weil er der Mann war, den Justizminister Christian Broda zum Leiter der wichtigsten Staatsanwaltschaft ernannt hatte. Müllers Gespür für Brodas Rechtsmeinung gab dem Minister die Möglichkeit, unwiderlegbar zu erklären, er habe nie eine Weisung erteilt. Sein braver Otto stellte so gut wie alle Strafverfahren, die die SPÖ irritieren konnten, von sich aus ein oder versuchte es zumindest. Alles natürlich genauso rechtmäßig, wie Justizministerin Claudia Bandion-Ortner es im Falle des Gerhard Dörfler darstellt: „Es darf nur angeklagt werden, wenn auch mit einer Verurteilung zu rechnen ist.“ Und Müller rechnete eben mit keiner.

Das Weisungsrecht – da hat Bandion-Ortner Recht – ist eine komplexe Sache. Dass es Weisungen geben muss, ist klar – es kann nicht jedem Staatsanwalt überlassen bleiben, was er anklagt oder einstellt.
Die Frage ist nur: von wem denn?

Ich halte den Justizminister aus folgenden Gründen für besonders ungeeignet: Er ist immer einer Partei verpflichtet, wenn nicht ihr Mitglied. Insbesondere Wirtschaft ereignet sich in Österreich mehr als anderswo in den Einflusssphären von Parteien. Die Weisung, entsprechende Strafverfahren durchzuführen oder einzustellen, hat daher besonders häufig direkte Rückwirkung auf die Erfolgschancen einer Partei. Damit befindet sich der Justizminister ständig in einem massiven Interessenkonflikt zwischen Partei- bzw. Regierungsloyalität und Wahrung des Rechts. Dass er gegenüber Volk und Parlament die „politische Verantwortung“ trägt, gleicht diese Befangenheit nicht aus. Denn dem Volk werden Weisungen kaum je bekannt, und im Parlament hat die Regierung, die ihn bestellt hat, die Mehrheit.

Meines Erachtens wäre auch jede andere Person, die zur obersten Weisungsinstanz erkoren würde, in dieser Lage. Ich halte daher mehr davon, die Weisungsmacht zu teilen und einer gewissen richterlichen Überprüfung zu unter­werfen: Um ihre Unabhängigkeit zu stärken, brauchten die Staatsanwälte wie die Richter einen von ihnen gewählten „Personalsenat“ (nicht bloß einen auch von ihnen beschickten „Ausschuss“), der sie der allfälligen Willkür des Ministers und ihrer Vorgesetzten mehr als bisher entzieht. Der Minister sollte niemanden außerhalb ihres Dreiervorschlags ernennen können. Die Staatsanwaltschaft soll ihre Einstellungsbeschlüsse grundsätzlich begründen müssen. Gegen diese Beschlüsse müssen Beschwerden bei der Ratskammer (einem Richtergremium) möglich sein, die die StA zu einem Verfahren verpflichten kann.

E Oberste Weisungsinstanz könnten unter diesen Voraussetzungen die Leiter aller vier großen Staatsanwaltschaften sein. Was der Leiter der StA Graz nicht anklagt, sollte notfalls auch der Leiter der StA Wien anklagen können und umgekehrt. Der Minister sollte deren Entscheidungen nur dann korrigieren dürfen, wenn ein Rechtsausschuss des Parlaments ihn dazu bevollmächtigt. Damit bin ich mit dem „Sachteil“ meines Kommentars zu Ende.

***

Leider ist es mir nicht möglich, meine Emotionen zur Gänze auszuschalten: Die gleiche Weisungssektion des Justizministeriums, die sich gegen die Anklage gegen Dörfler und den Richter entschied, hat 1996 die Anklage gegen mich bewilligt. Justizministerin Claudia Bandion-Ortner lobt diese Sektion dafür, dass ihre hervorragenden Juristen „die Ergebnisse staatsanwaltschaftlicher Tätigkeit“ noch einmal einer „Kontrolle“ auf ihre „sachliche Vertretbarkeit und Rechtmäßigkeit“ unterwerfen. Ich möchte das am Beispiel meines Falls infrage stellen.

Folgende Fakten dieses Falls erwiesen sich in zwei Prozessen als unbestreitbar: Die durch Osthandel sehr wohlhabende Frau H., die nebenher einen Kosmetiksalon betrieb, war bereit, meine Schwiegertochter trotz einer Allergie als dessen Leiterin einzustellen, obwohl ihre Geschäftsführerin das abgelehnt hatte. Dafür war ich Frau H. dankbar.
Monate später berichteten Zeitungen, dass Frau H. in ein Strafverfahren wegen verbotener Geldflüsse verwickelt sei.

Um diese Zeit traf ich den befreundeten Kaufmann Franz K., seine Frau und ein weiteres Ehepaar in der Eden-Bar in Wien, und zu dieser Gruppe stießen auch meine Schwiegertochter und mein ältester Sohn. Das Gespräch kam auch auf das Strafverfahren H., und es stellte sich heraus, dass Franz K. den damit befassten Staatsanwalt Dr. M. näher kannte.
Worauf ich die Worte aussprach, die mein Leben verändern sollten: „Kannst du beim Dr. M. nicht ein gutes Wort für die H. einlegen.“ Als meine Frau mir anderntags erzählte, K. habe sie eingehend über H.s Vermögen befragt, wollte ich ihn warnen: Wenn er Frau H. mit unhaltbaren Zusagen bedrängte, könnte sie das als „Pression“ empfinden.

Weil K. nicht daheim war, sprach ich diese Warnung verschlüsselt auf seinen Anrufbeantworter. Doch es geschah, was ich befürchtet hatte. K. erklärte Frau H., sie würde sicher verurteilt, wenn er nicht intervenierte und dafür viel Geld bekäme. Sie ließ die Polizei das nächste Gespräch mithören. Franz K. wurde mit einem Koffer zum Schein übergebenen Geldes verhaftet. Wochen später übergab K.s Frau der StA das Tonband mit meinem Anruf, und ich geriet unter die Tatverdächtigen.

Ich habe, hoffe ich, oft genug – zuletzt in einem eben erschienenen Buch* – klargestellt, dass ich mich in dieser Sache unmöglich benommen habe: Man kann als Chefredakteur des „Standard“ und ehemaliger Herausgeber des profil niemanden ersuchen, ein gutes Wort bei einem Staatsanwalt einzulegen, auch wenn man meint, dass es Ostgeschäfte ohne verbotene Geldflüsse nicht gibt.

Schließlich hatte ich solchen Filz durch Jahre angeprangert und der Staatsanwaltschaft in dutzenden Kommentaren vorgeworfen, Wirtschaftsstrafverfahren trotz massiver Verdachtsmomente einzustellen. Sie hat zu Recht gegen mich ermittelt. Aber ich stelle infrage, dass die „Kontrolle“ durch die Weisungssektion des Justizministeriums tatsächlich zu einer „rechtmäßigen“ Anklage geführt hat. Die Strafprozessordnung verlangt von der StA, dass sich Anklagen nicht auf Vermutungen, sondern einen hinreichend geklärten Sachverhalt gründen. In meinem Fall hielt die Anklage für geklärt, dass ich der Kopf des Verbrechens gewesen bin. Franz K. habe mir Geld geschuldet, von dem ich gewusst hätte, dass es uneinbringlich ist – also hätte ich beschlossen, es ihm zu beschaffen.

Zu diesem Zeitpunkt war der StA bekannt, dass ich Franz K. eben erst weitere 70.000 Euro anvertraut hatte, was man im Allgemeinen nicht tut, wenn man den anderen für zahlungsunfähig hält. Wissend, dass das Verfahren gegen Frau H. nur durch ­einen Amtsmissbrauch zu verhindern sei – so behauptete die Anklage –, hätte ich K. in die Eden-Bar eingeladen und ihm (vor zehn Tischgästen) meinen Plan dargelegt: Er sollte seinen Freund, den Staatsanwalt M., dazu bewegen, das Verfahren einzustellen. Frau H. würde ihm dafür viel Geld geben, von dem er seine Schulden an mich bezahlen könnte. Niemand, nicht Frau H., nicht Dr. M., nicht Franz K., für den es eine massive Entlastung gewesen wäre, hat meine Rolle jemals nur entfernt so dargestellt – und andere Beweismittel gab es nicht –, aber für StA und Ministerium war sie hinlänglich geklärt.

Nun zur Rechtmäßigkeit: Gemäß einem Urteil des Obersten Gerichthofs war Anstiftung zum Amtsmissbrauch in meinem Fall unbestrittenermaßen nur gegeben, wenn ich annehmen konnte, dass der Staatsanwalt, an den Franz K. meine Worte weitergab, zum Amtsmissbrauch bereit sein würde. Ich habe das in keiner Weise angenommen, wohl aber für möglich gehalten, dass Dr. M. innerhalb seines Ermessens eher für die Einstellung als die Fortführung des Verfahrens plädieren könnte. (Tatsächlich wurde das Verfahren gegen Frau H. in der Folge von einem ganz anderen Staatsanwalt ohne jeden Amtsmissbrauch eingestellt.) Weil die Anklage aber nur möglich war, wenn ich von der Korrumpierbarkeit des Staatsanwalts überzeugt war, präsentierte die Anklage folgende Argumentation: Ich hätte einmal mit Wiens Polizeipräsident und Staatsanwalt Dr. M. zu Mittag gegessen – aufgrund unseres Tischgesprächs hätte ich um seine Bereitschaft zum Amtsmissbrauch gewusst.

Das Justizministerium bewilligte die Anklage, obwohl die Staatsanwaltschaft weder mich noch Dr. M., noch den Polizeipräsidenten zum Inhalt dieses Tischgesprächs befragt hatte. Der Polizeipräsident wurde nicht einmal zum Prozess geladen. Bei der Wiederholung des Prozesses in Krems gab er an, er habe mich damals gebeten, in einer ihn betreffenden Angelegenheit nicht weiter zu berichten – profil sei seiner Bitte aber nicht nachgekommen. Als die Staatsanwaltschaft sich nach meinem neuerlichen Freispruch ein Rechtsmittel vorbehielt, erlitt ich einen Herzinfarkt. Ein Dreivierteljahr später gab der Justizminister Weisung, mich nicht weiter zu verfolgen.n

* Peter Michael Lingens: „Ansichten eines Außenseiters“, Kremayr & Scheriau, August 2009

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