Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof Nach mir die Sintflut

Nach mir die Sintflut

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Peter Sloterdijk ist immer für Unterhaltung gut. Als einer von vieren in der TV-Sendung „Philosophisches Quartett“ gab er zehn Jahre hindurch mit seiner gelehrten Eloquenz dem deutschsprachigen Bildungsbürgertum das wohlige Gefühl, etwas von den letzten Dingen zu begreifen.

Mit gezielten Provokationen hat Sloterdijk zudem sein Profil als deutscher Starphilosoph geschärft. Da schockierte er Ende der 1990er-Jahre mit der in seiner berüchtigten Rede über die „Regeln im Menschenpark“ aufgestellten Behauptung, die Menschheit sei einfach nicht mehr zu verbessern, es sei denn durch Züchtung. Eugenische Gedankenspiele just auf deutschem Boden: Die Empörung war groß.

Vor vier Jahren ritt er dann, alle möglichen Denker aus vielen Jahrhunderten als Mitkämpfer reklamierend, eine Attacke gegen die „illegitimen“ Steuereinnahmen des Staates, setzte diesen die Vision freiwilliger Abgaben durch Reiche entgegen und propagierte eine „Revolution der gebenden Hand“ – was immer das auch heißen mag.
Nun liegt erneut einer seiner dicken Wälzer vor, die seltsamerweise immer wieder hohe Auflagen erzielen. Auch sein neuestes, 500 Seiten starke Œuvre „Die schrecklichen Kinder der Neuzeit“ (Suhrkamp, 2014) hat es bereits auf die Bestseller-Listen geschafft und entpuppt sich als beliebte Urlaubslektüre.

Der Philosoph hat seinen Lesern tatsächlich einiges zu bieten. Er surft leichtfüßig durch die Jahrhunderte und die Welt des Geistes. Er zeigt in originellen Sprachbildern, gespickt mit Neologismen, einen Assoziationsreichtum, der das Publikum immer wieder beeindruckt. Und er beweist dort, wo er die Thesenhaftigkeit sein lässt, erstaunliche erzählerische Kraft – wenn er etwa in seinen „schrecklichen Kindern“ die Madame de Pompadour, die Geliebte von Ludwig XV., porträtiert oder Napoleons Krönung zum Kaiser schildert.

Die Pompadour und Napoleon sind Leitfiguren in Sloterdijks Version der Weltgeschichte. In der Tochter eines Fischhändlers, die zur mächtigen Mätresse aufgestiegen war, sieht er eine Hellsichtige, die mit ihrem legendären Spruch „Nach mir die Sintflut“ ahnte, dass es mit dem Ancien Régime zu Ende gehen und „der Sturz in die Bodenlosigkeit“ beginnen würde. Ihre Karriere, die sie an die Spitze des französischen Hofs führte, sei schon Symptom dafür gewesen, dass die Welt der ständischen Ordnung dem Untergang geweiht war. Sie und der korsische Parvenu Napoleon, der sich 1804 in Paris ohne höhere Legitimation selbst die imperiale Krone aufsetzt, sind für Sloterdijk geradezu Prototypen jener titelgebenden „schrecklichen Kinder“.

Zeitlich zwischen dem Wirken der beiden hätte aber jener welthistorische „Hiatus“ stattgefunden, jener Bruch, der nach Sloterdijk letztlich alles Unheil über die Welt bringen sollte: die Französische Revolution. In ihr habe sich die endgültige Trennung von Herkunft und Zukunft vollzogen. Die verantwortungsvolle Übergabe und Übernahme des väterlichen Erbes finde nicht mehr statt. In der vaterlosen, antitraditionellen Moderne, in der wir seit damals leben, gerate alles ins „Gleiten und Stürzen“. Das ist die Hauptthese des neuen Sloterdijk-Buches.

Im französischen Revolutionsjahr 1789 seien alle Katastrophen der nachfolgenden Zeit bereits angelegt: „Die entgrenzte Gewalt, wie sie im Revolutionszeitalter ausbrach, um sich nur episodisch wieder zu beruhigen“, sei eben „durchaus nicht das bedauerliche schlimme Mittel zum guten Zweck, wie die unentwegt Progressiven zu behaupten nicht müde werden – sie ist der unverhüllte Ausfluss ihres leitenden Prinzips“. Und so tauchen die antipatriarchalen Rebellen der Geschichte, die ehemals Rechtlosen, Marginalisierten und „Benachteiligten aller Couleurs“, die Nicht-Standesgemäßen, die für ihre Freiheitsrechte kämpfen, bei Sloterdijk allesamt als Verderber der Menschheit auf: Sie seien die vom Hiatus gezeugten Monster.

Seine Abscheu vor der Loslösung aus althergebrachten Bindungen formuliert er in einem fast naturwissenschaftlichen Gesetz: „Im Weltprozess nach dem Hiatus werden ständig mehr Energien freigesetzt, als unter Formen überlieferungsfähiger Zivilisierung gebunden werden können.“ Sprich: Freiheit, die der Philosoph unter Anführungszeichen setzt, ist gefährlich, Emanzipation eine Schimäre und die moderne Welt mit all ihren Begehrlichkeiten, Wünschen, vielfältigen Lebensentwürfen, Hybridisierungen und Mobilitäten driftet unweigerlich in Richtung Abgrund.

Ich habe Sloterdijks „Schreckliche Kinder der Neuzeit“ in einem Zug durchgelesen und muss gestehen: Es hat mir Spaß gemacht, aber letztlich auch Ekel in mir hervorgerufen – Ekel vor dem von Sloterdijks essayistischer Brillanz nur dürftig camouflierten plump-konservativen Ressentiment. Die deutsche Zeitung „Die Welt“ schreibt treffend: „Dieser Mann kennt den kürzesten Weg vom Elfenbeinturm an den Stammtisch“, wo man sich über den Steuerstaat, die haltlose Jugend, über den Verlust an Autorität und Tradition und über zeitgenössische Kunst echauffiert. Diesen Stammtisch der höheren Stände bedient Sloterdijk blendend. Das erklärt wohl auch die hohen Auflagen seiner Bücher.

In so manchem feinen bürgerlichen Salon mag man sich von Sloterdijk in seinen Vorurteilen bestätigt fühlen. Aber auch die moderne Welt in all ihren Widersprüchen und Verwerfungen benötigt dringend „schreckliche Kinder“. Und das Erben, das er so wortreich zur Tugend erhebt, sollte, bitte schön, ordentlich besteuert werden.

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