Kommentar

Putins Brandstifter in Bosnien

Warum es schon bald wieder eine NATO-Mission in Bosnien-Herzegowina brauchen könnte.

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Am 19. November, wenn die ganze Welt zum WM-Auftakt nach Katar blickt, soll in St. Petersburg ein Freundschaftsspiel stattfinden. Russland – seit dem Angriffskrieg von FIFA und UEFA suspendiert – tritt gegen Bosnien-Herzegowina an, ein ethnisch tief gespaltenes Land mitten in Europa, in dem diesen Sonntag Wahlen stattfinden.

Es ist keine Übertreibung, Bosnien-Herzegowina als einen der kompliziertesten Staaten der Welt zu bezeichnen. Das Land hat drei konstitutive Völker (Bosniaken, Serben, Kroaten), zwei Landesteile, zehn Kantone mit eigenen Parlamenten und ein dreigeteiltes Präsidentenamt. Dieses ethnische Proporzsystem sichert 27 Jahre nach dem Krieg den Frieden. Es lähmt aber auch die Verwaltung und die politischen Prozesse. Die nationale Zugehörigkeit dominiert alles. Sogar den Sport. Trotz Protest der Mannschaft will Vico Zeljković, der Präsident des bosnischen Fußballverbandes, am Termin festhalten. Zeljković ist der Neffe von Milorad Dodik. Sein Onkel gilt als Putins treuester Verbündeter in Europa – dicht gefolgt von Alexander Lukaschenko in Belarus.

Der Nationalist Milorad Dodik ist der bestimmende Politiker im serbischen Landesteil von Bosnien-Herzegowina, der Republika Srpska (RS), sowie das serbische Mitglied im bosnischen Staatspräsidium. Vor jeder Wahl tanzt er im Kreml an, um seine Wähler zu mobilisieren. Eine satte Mehrheit der bosnischen Serben ist pro-russisch eingestellt. Laut einer jüngsten Umfrage des „International Republican Institute“ haben 83 Prozent eine positive Meinung von Putin.

Die Menschen stimmen längst mit ihren Füßen ab und verlassen das Land.

In Moskau gab Dodik der russischen Nachrichtenagentur „TASS“ ein Interview. Er könne die Beweggründe hinter Russlands „Spezialoperation“ (er meint damit den Krieg in der Ukraine) verstehen. Dann zog er eine gefährliche Parallele. Die bosnischen Serben träumten, ebenso wie die Bevölkerung im Osten der Ukraine, von einer Abspaltung. Dieser Wunsch sei „ganz natürlich“.

Das ewige Gerede von Sezession gehört für Dodik zum politischen Tagesgeschäft. Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass er ernst macht, nicht zuletzt, weil ihn der serbische Präsident Aleksandar Vučić fallen lassen würde. Belgrad ist auf seine engen wirtschaftlichen Verbindungen nach Westeuropa angewiesen. Aber Luftschlösser reichen Dodik schon. Zuletzt drohte er mit der Schaffung einer eigenen Armee der bosnischen Serben. Mit der permanenten Eskalation lenkt er von seiner katastrophalen Regierungsbilanz ab, die nicht auf gesellschaftlichen Wohlstand, sondern auf maximale Polarisierung abzielt. Das Resultat: Arbeitslosigkeit und Abwanderung. Die Menschen stimmen längst mit ihren Füßen ab und verlassen das Land.

Ein dritter Akteur drängt in die Männerfreundschaft von Dodik und Putin. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán biedert sich beiden an, indem er die EU-Sanktionen gegen Russland verwässert sowie jene gegen Dodik ganz verhindert. Während die USA und Großbritannien längst Dodiks Besitz eingefroren haben, steht die EU wieder einmal zahnlos da, weil Orbán auf der Bremse steht. Vergangenen Dezember kündigte Orbán der Republika Srpska stattdessen Investitionen im Wert von 100 Millionen Euro an.

Seit Beginn des Krieges in der Ukraine wird davor gewarnt, der militärische Konflikt im Osten könnte auf den Balkan überschwappen. Das wird wohl nicht passieren. Aber ganz ehrlich? Der aktuelle Zustand ist schon schlimm genug. „Ich sehe die größte Gefahr nicht im Zerfall des Staates, sondern in der Fortsetzung des Status Quo“, sagt der bosnisch-österreichische Politikwissenschaftler Vedran Džihić zuletzt in einem Interview mit dem ORF.

Putin muss (und kann) gar keine Panzer schicken, um Unruhe zu stiften. Er greift auf andere Mittel zurück: Desinformationskampagnen (Kosovo), die Finanzierung ihm wohlgesinnter Politiker (Bosnien-Herzegowina) und verdeckte Geheimdienst-Operationen (Montenegro, Nordmazedonien). Putins zentrales Ziel auf dem Balkan ist keine neue Front, sondern Chaos. Er setzt alles daran, die euro-atlantische Integration der Region zu verhindern. Die EU setzt dem seit Jahren nichts Authentisches entgegen.

Immerhin: Seit Juli ist die deutsche Bundeswehr im Rahmen der EU-geführten Militäroperation „Eufor Althea“ wieder in Bosnien-Herzegowina präsent. Doch die (derzeit von einem österreichischen Kommandanten angeführte) Mission wackelt. Sie basiert auf einem UN-Mandat, das im November ausläuft. Für eine Verlängerung braucht es die Zustimmung von – raten Sie Mal? Richtig. Von Wladimir Putin im UN-Sicherheitsrat.

Die EU muss sich schon jetzt auf das Szenario einer russischen Blockade vorbereiten. Mit Moskau über einen Kompromiss zu verhandeln, wie das etwa im November 2021 passierte, ist seit dem Krieg in der Ukraine undenkbar. Was es in Bosnien-Herzegowina im Ernstfall wieder braucht, ist eine NATO-geführte Friedenstruppe, wie sie seit 1999 konsequent im Kosovo stationiert ist (und leider immer noch gebraucht wird). Völkerrechtler halten das für möglich. Der US-Außenminister Antony Blinken hat das Szenario kürzlich ins Spiel gebracht. Und in den Rechtsabteilungen des Brüsseler NATO-Hauptquartiers soll seit geraumer Zeit darüber nachgedacht werden. Von Insidern hört man, dass Putin eine EU-Mission immer noch lieber wäre, als eine Truppenpräsenz der NATO, weswegen er doch noch von einem Veto absehen könnte. Aber ist es nicht befremdlich, wenn sich das euro-atlantische Bündnis in Zeiten wie diesen ausgerechnet auf Putins Zustimmung verlässt? Eine NATO-geführte Mission wäre eine Lebensversicherung. Auch für ein formal neutrales Land wie Österreich. Wir können unsere Sicherheitspolitik in unmittelbarer Nachbarschaft nicht von einem despotischen Kriegsherren abhängig machen, der der Welt mit Atomwaffen droht. 

Franziska Tschinderle

Franziska Tschinderle

schreibt seit 2021 im Außenpolitik-Ressort. Studium Zeitgeschichte und Journalismus in Wien. Schwerpunkt Südosteuropa / Balkan.