Rainer Nikowitz

Rainer Nikowitz

Rechtskopulismus

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Der Bürgermeister hatte wahrlich schon viel gesehen in seinem Leben. Das alljährliche Benefiz-Origami-Wettfalten in der Sektion 34 in Favoriten. Magistratsbeamte, deren angedrohter Streik gerade noch von der hereinbrechenden Mittagspause verhindert werden konnte. Er hatte sogar einmal Werner Faymann aus der Bibliothek im Rathaus kommen sehen, damals, als der Werner noch ganz frisch sein Amt als Wohnbaustadtrat angetreten hatte und in den ersten Wochen überall hinfand, nur nicht in die Kantine. Und der Bürgermeister hatte auch schon bizarr gekleidete Menschen gesehen. Zur Genüge. Bis er dann damals aus der Burschenschaft ausgetreten war.

Aber so etwas wie das hier hatte er noch nie gesehen. In dem wüsten Durcheinander aus Körpern vor ihm war nicht mehr zu erkennen, wo der eine Netzbody aufhörte und das andere Lederkorsett anfing. Manche Hintern schienen sich überhaupt einen Stringtanga zu teilen. Ein Mann nuckelte an einem Zeh. Und eine Frau mit langen grauen Haaren schrie: „Ja! Kunst kommt von Können! Jaaa!!“

Und wenn man wirklich genau hinsah, konnte man erkennen, dass es in diesem Haufen zweifelsfrei einige Menschen gab, die sogar weniger anhatten als Mausi Lugner am Opernball. Natürlich hatte der Bürgermeister keine Freude damit. Und nur zu gerne hätte er einige barsche Worte des Tadels formuliert. Aber der Zipp über seinem Mund war zu.

„Na, Herr Bürgermeister? Was sagen S’? Ungeheuerlich, was?“ Neben dem Bürgermeister stand jetzt die Grauhaarige von vorhin an der Bar und nahm einen tiefen Schluck aus ihrem Schirmchen-Cocktail. Eines ihrer Häschen-Ohren hatte im Nahkampf etwas gelitten und hing geknickt herunter. Wie konnte sie ihn in seinem Latex-Ganzkörperanzug erkannt haben? Wo er noch dazu schwarz war? Der Bürgermeister holte tief Luft, öffnete bedächtig seinen Reißverschluss, um sich nicht etwa eine seiner vollen Lippen einzuzwicken, und sagte dann: „Sie müssen mich verwechseln!“

Das Bunny kicherte. „Aber gehen S’! Merken S’ Ihnen: Man trägt zu Latex keine Krawatte. Und schon gar nicht die, die man zwischen 2004 und heute bei jeder Budgetdebatte umgehabt hat.“ Betreten sah der Bürgermeister an sich hinab. Das hatte er dem Kulturstadtrat doch gleich gesagt! Und wo war der überhaupt?

Er versuchte, die Fassung wiederzufinden. „Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf?“ Die Frau schüttelte lasziv ihre Mähne und antwortete dann mit verrucht rauer Stimme: „Ich bin die Kultursprecherin der FPÖ.“ Darum kannte er sie also nicht.

„Was, bitte, machen Sie da?“, platzte es aus dem Bürgermeister heraus. „Ach, wissen S’“, sagte die Grauhaarige, „normalerweise bin i immer nur gegen Kulturveranstaltungen, bei denen i nie war. Hab i mir denkt: Machst amoi a Ausnahm. Und Sie?“

Der Bürgermeister hüstelte verlegen. „Für Swingerclubs bin ich nicht zuständig und auch in keiner Weise interessiert“, betonte er. „Ich weiߓ, sagte die Kultursprecherin. „Mir geht es selbstverständlich genauso. Wissen Sie, was ich dort drüben gsehen hab? Ein erigiertes Glied, jawoll. Aus der Nähe!“

Aus dem Nebenraum war das rhythmische, scharfe Knallen einer Peitsche zu hören. Und ein Mann. Kein Zweifel, was da im Gange war. „Au!“, schrie er. „Öffentlicher Gruppensex! Auuu! Subventionierte Orgien! Verschwitzte Fantasien eines so genannten Schweizer Künstlers! Aua! Fester!!“

Das kam dem Bürgermeister irgendwie so bekannt vor. Er sah die Kultursprecherin so fragend an, wie das mit einer Latexmaske eben möglich war. „Ja, ja, mei Chef is auch da“, sagte sie vergnügt. „Ich bin so stolz. Ma kriegt ihn ja sonst nicht in ein Museum.“

Der Bürgermeister sah in der Zwischenzeit mit wachsendem Erstaunen einem Mann zu, der mit Leine und Halsband auf allen vieren durch den Raum geführt wurde. Manchmal hielt er kurz inne und leckte einen Stiefel. Nun ja. Wenigstens wusste er jetzt, wo der Kulturstadtrat war.

„So, dem hab ich’s aber gegeben“, dröhnte es mit einem Mal neben ihm. Mit einer ausladenden Geste warf die Bezirksvorsteherin ihre Peitsche auf den Tresen. „Jetzt schnell einen Drink und dann zeig ich den anderen, wo Gott wohnt!“ Da entdeckte sie die Kultursprecherin. Und die Krawatte des Bürgermeisters.

„Frau Kollegin, Herr Kollege – ich nehme doch an, wir sind uns einig. Das ist eine Schweinerei, die wir den Bürgerinnen und Bürgern keinesfalls zumuten dürfen“, sagte sie schließlich mit fester Stimme. Die beiden nickten eifrig.

„Was is jetzt?“, rief die Stimme von vorhin aus dem Nebenzimmer. „Das war do hoffentlich no net alles? I war heut voll unartig!“

Die Bezirksvorsteherin hielt der Kultursprecherin die neunschwänzige Katze hin. „Sie kennen ihn besser“, sagte sie mit einem verschwörerischen Blinzeln. Die Kultursprecherin zog ihre hüfthohen Stiefel zurecht, nahm die Peitsche und glitt vom Barhocker herunter. Und dann sagte sie noch: „Es ist ein Skan-dal!“

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Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz

Kolumnist im Österreich-Ressort