Rainer Nikowitz

Rainer Nikowitz Anstandsdramen

Anstandsdramen

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1. Verdeckte Parteienfinanzierung jeder Art, die ja in Österreich aufgrund der absurd niedrigen staatlichen Parteienförderung unumgänglich ist, ist abzustellen – und zwar auf die besonderen Bedürfnisse, die eine besondere Partei wie die ÖVP nun einmal hat. Allerdings ist der besonders züchtigen Verdeckung wesentlich höhere Aufmerksamkeit als bisher zu widmen. Schließlich sind wir eine konservative Partei, Züchtigkeit ist eine unserer Grundfesten. Unsere Sympathisanten zeigen ja auch nicht einfach ihr Spatzi irgendwo her. Es sei denn, sie waren am Priesterseminar.

2. Ob man in der Kirche zur Kommunion gehen darf, obwohl man gerade einen schönen Druckkostenbeitrag kassiert hat, hängt nicht allein davon ab, ob man zur Beichte in einem Untersuchungsausschuss war. Die christliche Morallehre ist in diesem Fall ziemlich eindeutig. Die der ÖVP natürlich auch. Nachdem die beiden hier aber interessanterweise, wie eigentlich sonst ja auch nie, zu demselben Ergebnis gelangen, sticht der Ober den Unter. Also hat die Partei Recht.

3. Wer dabei fotografiert wird, wie er ein dickes Kuvert von einem Lobbyisten einsteckt, muss sich beim ersten Mal im Parteivorstand die Eselsohren aufsetzen. Beim zweiten Mal muss er zusätzlich zwischen Maria Fekter und Johanna Mikl-Leitner sitzen. Und passiert es einem Unbelehrbaren gar ein drittes Mal, ist endgültig Schluss mit lustig: Dann muss er die Wiener ÖVP übernehmen.

4. Wer an einer Jagd bei einem ganz bestimmten, meist zumindest theoretisch schwer bewaffneten Lobbyisten teilgenommen hat, der muss, so glaubhaft es einem ÖVP-Funktionär halt möglich ist, öffentlich behaupten, dass er dies keineswegs zwecks Anbahnung von Korruption getan hat, sondern in Ausübung seines unentgeltlich ausgeübten Ehrenamts als Treiber, Flintenweib oder Stiefelknecht. Falls ihm das keiner glauben sollte, was wir uns aber eigentlich nicht vorstellen können, ruft Karlheinz Kopf in der Morgendämmerung dreimal das Wort „Politjustiz!“ vom Nordturm des Stephansdoms – und alles ist wieder gut.

5. Auch wenn sie sich, was ja zum Beispiel bei einem Mann wie Werner Amon durchaus verständlich ist, darum reißen: Staatsanwälte küsst man nicht!

6. Bei der nächsten „Leistung muss sich lohnen“-Kampagne, die ja in der ÖVP eigentlich immer sofort nach der vorigen kommt, ist den Bürgern klarzumachen, dass dies selbstverständlich auch für die übermenschlichen Leistungen der ÖVP für dieses Land zu gelten hat. Und falls bei diesem Geschäft der Lohn nicht in Form von genügend Wählerstimmen rüberwächst, dann werden Schadenersatzzahlungen fällig. Und falls doch – dann auch.

7. Hinweisen auf Verbindungen der ÖVP zu immer schon unerwünscht gewesenen Subjekten ist in Hinkunft wie folgt zu begegnen: Karl-Heinz Grasser war bei der FPÖ. Ernst Strasser in der Tiefe seines Herzens immer schon parteilos. Wolfgang Schüssel hat bei keiner Budgetrede von KHG geklatscht. Erwin Pröll war von Strasser immer schon schwer enttäuscht. Sollte das nicht ausreichen, ist auf die Nennung dieser Namen in der Folge nur mehr mit einer Gegenfrage zu reagieren, nämlich: „Wer?“ Und was Alfons Mensdorff-Pouilly betrifft: Den hat Maria Rauch-Kallat bei der Tombola am Jägerball gewonnen und sich, weil sie ein gutes Herz hat, bereit erklärt, ihn anzufüttern … äh, durchzufüttern natürlich.

8. Gutachten, die befreundete, im unfallfreien Verbuchen von Kaffeehausrechnungen bestens geschulte Steuerberater für hochkomplexe Milliardengeschäfte wie zum Beispiel den Verkauf einer Bank ersinnen, dürfen ab nun nicht mehr als 50.000 Euro pro Wort kosten. Satzzeichen wie Beistriche oder Punkte sind höchstens 20.000 Euro wert. Achtung: Dies gilt auch für Strichpunkte, obwohl die ja beides sind. Aber da sind wir voll hart!

9. Nach den neuen Anstandsregeln ist es selbstverständlich auch nicht mehr möglich, wie bisher eine Politik zu betreiben, die die Bevorzugung bestimmter Bevölkerungsgruppen auf Kosten aller anderen zur christlich-sozialen Notwendigkeit erklärt. In Hinkunft macht die ÖVP also eine Politik der strengen Ausgewogenheit und achtet unisono auf das Wohlergehen aller Österreicher. Und zwar ganz egal, ob es jetzt ein Bauer, Beamter oder Unternehmer ist.

10. Wenn der jeweilige Parteivorsitzende in seiner Rede zur Lage der Nation das kommende Jahr zum Jahr der ÖVP erklärt und unmissverständlich den Kanzleranspruch stellt, ist Lachen strengstens verboten. Schmunzeln auch. Zuwiderhandelnde müssen die im jeweiligen Jahr gerade aktuelle, voll kritische Erwin-Pröll-Biografie lesen, wobei selbstverständlich auch hier Lachen strengstens verboten ist. Und Achtung: Das ist dann natürlich Prüfungsstoff, gell?

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Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz

Kolumnist im Österreich-Ressort