Rainer Nikowitz

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Deutschmann spürte, wie sich der feine Schweißfilm, der ihn mittlerweile flächendeckend überzog, hinter dem rechten Ohr zu einem Tropfen verdichtete, der langsam den Nacken herunterkullerte und schließlich vom Kragen seines besten Hemds aufgesogen wurde.

„Nun, Herr Deutschmann“, hob einer der drei Schatten hinter dem grellen Licht, das Deutschmann frontal ins Gesicht knallte, mit schneidender Stimme an, „ich fürchte, wir können nichts mehr für Sie tun. Dabei haben wir uns wirklich bemüht. Und wir haben jede Menge Geduld gehabt. Aber so, wie die Dinge liegen, verschwenden wir hier nur unsere Zeit. Und Zeit ist nun einmal Geld, Herr Deutschmann! Auch und gerade in unserem Geschäft!“

Deutschmann versuchte zu schlucken, doch sein Mund war so trocken wie eine Rede zur Lage der Nation von Michael Spindelegger. Diese Sache hier lief nun wirklich nicht gut für ihn. Gar nicht gut. Wenn er es nicht schaffte, dem Ganzen noch eine Wendung zu geben, würde er es sein Leben lang bereuen.

„Bitte, geben Sie mir noch eine Chance“, sagte er tonlos. „Vergessen Sie einmal das mit dem Gemeinwohl. Das ist mir nur so herausgerutscht. Und auch das mit den Idealen. Ich hab das nicht so gemeint. Sie werden doch nicht ernsthaft annehmen, dass ich glaube, ich könnte bei Ihnen mit so etwas durchkommen. Ich war einfach nervös und …“

Deutschmann stockte. Er versuchte, hinter dem Lichtvorhang irgendeine Regung auszumachen. Irgendetwas, das ihm sagte, dass er doch noch nicht völlig verloren war. Und dann sagte er, einer plötzlichen Eingebung folgend: „Habe ich übrigens erwähnt, dass mein Englisch ganz schlecht ist?“
Da! War diese Bewegung eines der drei Schatten etwa ein anerkennendes Nicken gewesen? Deutschmann fasste neuen Mut. „Man muss ganz nüchtern davon ausgehen, dass der Kunde in der Regel nicht der Hellste ist“, fuhr er mit schon etwas festerer Stimme fort. „Also muss man ihm immer möglichst einfache Lösungen anbieten. So kommt man garantiert ans Ziel.“

Der rechte der drei Schatten räusperte sich und flüsterte dem neben ihm sitzenden etwas zu, das Deutschmann nicht verstehen konnte. Dann sagte er: „Aber wir sind uns doch hoffentlich einig, dass einfache Lösungen nie funktionieren. Und irgendwann kommt da selbst der dümmste Kunde drauf, oder?“

Sie stiegen darauf ein! Deutschmanns Zuversicht wuchs. „Ja, natürlich! Aber bis dahin hat man genügend Zeit, das Beste für die Firma herauszuholen. Und …“, Deutschmann rang sich trotz seiner immer noch nicht restlos blendenden Lage ein beeindruckend sardonisches Lächeln ab, „und natürlich auch für sich selbst.“

Jetzt kam noch mehr Bewegung in die drei Schatten. Sie steckten die Köpfe zusammen, und der Ton ihres Gemurmels hatte plötzlich etwas Aufgeregtes an sich. Dann sprach der linke Schatten zum ersten Mal: „Der Fall Grasser – was lernen Sie da ganz persönlich daraus, Herr Deutschmann?“
Deutschmann fühlte, er war auf dem richtigen Weg. Er konnte das tatsächlich noch schaffen. „Na ja … Also zum Ersten hätte ich nie zugelassen, dass das echte Buwog-Höchstgebot nur um eine Million unter dem konstruierten liegt. 961 Millionen zu 960? Also ehrlich jetzt! Das ist ja wohl ein ausnehmend klassischer Fall von Sparen am falschen Platz. Und zweitens: Heb dir jedes alte Handy auf, das du jemals besessen hast, und leg dir beizeiten einen ordentlichen Vorrat nicht registrierter Wertkarten für dich und deine Freunde zu.“

Die folgende Stille dauerte Deutschmann fast schon eine Spur zu lang. Aber dann sagte der linke Schatten endlich: „Beeindruckend! Und wie beurteilen Sie die jüngste Geschichte um die Telekom und einige unserer früheren Leute aus strategischer Sicht?“

Deutschmann überlegte keine Sekunde. Er wusste: Jetzt hatte er sie. „Nun“, begann er zu dozieren, „diese Geschichte wird wohl endgültig zu der Einsicht führen, dass die schwarz-blaue Ära wohl die korrupteste der ganzen Zweiten Republik war und dass vor allem wir Rechtspopulisten den Hals nicht voll kriegen konnten. Das wird die allgemeine Politikverdrossenheit weiter befeuern, was sich schon in den nächsten Umfragen in einem weiteren Zuwachs für die FPÖ niederschlagen wird, was wiederum eine neuerliche schwarz-blaue Koalition nach den nächsten Wahlen wieder ein Stück wahrscheinlicher macht.“

Und nach einer kleinen Pause fügte Deutschmann listig hinzu: „Und wenn Sie mir noch eine persönliche Bemerkung gestatten: Ich finde ja, der Gorbach hat es viel zu billig ge­geben.“

Mit einem Mal ging die Lampe, die Deutschmann die ganze Zeit über ins Gesicht geleuchtet hatte, aus. Die drei Herren auf der anderen Seite des Tischs lächelten. Einer sagte: „Herr Deutschmann, wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu dürfen, dass Sie bestanden haben. Sie haben keinerlei moralische Standards, die der Rede wert wären. Das muss belohnt werden: mit der Wolfgang-Schüssel-Gedächtnismedaille in Platin – und einem sicheren Listenplatz bei der nächsten Nationalratswahl.“

Als Deutschmann an diesem Abend mit seiner Sekretärin fein essen ging, hob er die horrende Rechnung gut auf. Irgendwer würde sie irgendwann schon zahlen.

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Rainer Nikowitz

Kolumnist im Österreich-Ressort