Rainer Nikowitz

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Werner Faymann verstand nichts von Quantenmechanik. Das war an sich nicht weiter tragisch. Man konnte sich schließlich nun wirklich nicht überall auskennen. Er verstand ja – nur um jetzt irgendein weit hergeholtes Beispiel zu konstruieren – auch nichts von demokratischer Hygiene. Oder von einer Politik, die neben dem dringenden Bedürfnis nach reibungslosem Machterhalt zumindest noch Spurenelemente irgendeines Inhalts aufwies. Wobei manche fanden, das wäre bei einem Bundeskanzler sogar ein wenig wichtiger gewesen als Quantenmechanik.

Aber, ehrlich gesagt: Werner sah da nicht so einen großen Unterschied. Auch war er an sich kein Mann, der gemeinhin von irgendwelchen Ahnungen geplagt wurde. Aber jetzt, da er zwischen dem täglichen Problemweglächeltraining und der nächsten Unterrichtsstunde seines „Talking loud and saying nothing“-Privatseminars ein Loch hatte, das er damit füllte, aus dem Fenster seines Arbeitszimmers in der Löwelstraße zu schauen, befiel ihn plötzlich eine Ahnung. Eine düstere. Irgendetwas sagte Werner, dass da draußen, im Halbdunkel dieses Herbstabends, etwas Unbekanntes, etwas zutiefst Beunruhigendes lauerte. Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken. Was zur Hölle konnte das bloß sein?

Josef Cap kam herein. Der war ja nun bekannt für sein feines Gespür. Er merkte es zum Beispiel immer als Erster, wenn der Wind sich drehte. Wie eines dieser ­hübschen roten Fähnchen, die am 1. Mai am Rathausplatz wehten.
„Schau einmal“, sagte der Kanzler besorgt. „Da draußen.“
Cap blickte aus dem Fenster. „Was soll da sein?“
Werner runzelte die Stirn. „Spürst du des net? Da is was. Irgendwas … Komisches.“
Cap blickte noch einmal aus dem Fenster. „Na. I siech nix und i spür nix.“
Faymann blieb unbeirrt: „Weißt, was i glaub? Das da draußen – das is ein Paralleluniversum!“
Josef war bass erstaunt. „Du meinst, so eines wie in der Quantenmechanik

Dafür hatte man ja schließlich einen Intellektuellen in der Partei. Dass er solche Sachen wusste. Und zwar ohne dass er großartig damit angab. Cap hätte zum Beispiel auch nie eine der von ihm erdachten wichtigsten Leitlinien der Partei, auf der zum Beispiel die enge und von völliger Aufrichtigkeit geprägte Beziehung zur „Krone“ basierte, öffentlich zum Besten gegeben. Nur im kleinen Kreis wiederholte er sie manchmal, auf seine typisch unzynische Art, die ja sein gesamtes politisches Lebenswerk prägte: „Und vergesst’s nie: Die Trotteln haben immer die Absolute!“

Werner hatte wie gesagt keine Ahnung von Quantenmechanik. Aber sein Instinkt schon. „Ich mein damit, die da draußen … Kannst du dir vorstellen, dass die vielleicht in einer völlig anderen Realität leben als wir hier herinnen?“

Das war starker Tobak. Josef musste jetzt beruhigend auf den Freund einwirken, so viel war klar. „Geh, Werner“, sagte er sanft. „Wie kommst denn auf so was?“

Auf Werners Gesicht hatte sich in der Zwischenzeit ein dünner Angstschweißfilm gebildet. „Na, wegen der ganzen blöden Gschicht mit dem Untersuchungsausschuss. Könnte es nicht sein, dass es Leute gibt, die das nicht als Highlight eines lebendigen Parlamentarismus sehen, so wie wir? Die unsere großartigen taktischen Volten nicht zu würdigen wissen?“ Jetzt runzelte auch Cap die Stirn. Konnte da was dran sein? Lag es im Bereich des zumindest entfernt Denkmöglichen, dass da draußen jemand fand, dass die SPÖ nicht als strahlender Sieger aus dieser unappetitlichen Sache hervorgegangen war? Wo sie doch auf das Wahre, Gute und vor allem Gerechte abonniert war?

Er ging schnellen Schrittes zur Tür, steckte den Kopf hin­aus und rief nach Laura. Als die Bundesgeschäftsführerin, zu der Josef ein besonders herzliches Verhältnis hatte, weil sie ja, was den nahtlosen Übergang von rebellischer Pose zu pragmatisierter Proporzverwaltung betraf, beherzt in seine Fußstapfen getreten war, ins Zimmer kam, schauten die beiden Männer schon wieder besorgt aus dem Fenster.
„Was ist los? Gibt’s da was Besonderes zu sehen?“
„Ja“, sagte Cap tonlos. „Der Werner glaubt, dass da draußen a Paralleluniversum is. A andere Realität. In der niemand super findet, wie wir mit dem Untersuchungsausschuss umgehen.“

Jetzt, wo der Josef das sagte, war sich Laura gleich auch nicht mehr sicher. „Du meinst, dass es da draußen Leute geben könnte, die seit Neuestem ‚Otto Pendl‘ und ‚funktionaler Analphabetismus‘ gemeinsam googeln?“, fragte sie leise. „Oder vielleicht sogar noch schlimmer“, sagte jetzt der Kanzler. Er fühlte, wie sein Mund trocken wurde. „Vielleicht sogar Leute, die möglicherweise meinen, dass wir alle ein durch und durch erbärmlicher Haufen sind.“

Der Fernseher war die ganze Zeit über gelaufen. Und jetzt trat Günther Kräuter auf und sagte: „Der Bundeskanzler darf nicht vorgeladen werden, nur weil es eine besondere Hetz ist!“ Die drei sahen wieder aus dem Fenster und kannten sich überhaupt nicht mehr aus: Unten an der Straßenecke übergab sich gerade ein Passant. Dabei konnte der das doch unmöglich gehört haben.

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„Land in Sicht“ von und mit Rainer Nikowitz & Florian Scheuba am 24.10., 20 Uhr, im Rabenhof Theater, 1030 Wien.

Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz

Kolumnist im Österreich-Ressort