Rainer Nikowitz

Rainer Nikowitz Budgetdisziplin

Budgetdisziplin

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Es war ja alles so wahnsinnig komplex …
Josef seufzte angesichts dieser Erkenntnis, die ihm zwar natürlich nicht neu war, ihn aber selbst in dem mit acht Wochen ohnehin mehr als knapp bemessenen Urlaub turnusmäßig mit der Allgewalt eines mit Subventionen randvoll gefüllten Gummiwagens überrollte, dermaßen laut und gequält auf, dass die anderen Gäste in der Bar des griechischen All-Inclusive-Clubs erschrocken von ihren Schirmchendrinks abließen – sich allerdings sogleich wieder ihrer bemächtigten, als sie feststellten, dass der Pröll’sche Gefühlsausbruch nicht etwa dem überraschenden Anblick eines zu so manchem bereiten Einheimischen geschuldet war.

Mit seinem untrüglichen Gespür für nahezu alles merkte wenig später auch Werner, dass hier etwas nicht stimmte, und tätschelte Josef begütigend die Hand. „Josef“, sagte er mit ruhiger Stimme, „jetzt entspann dich doch einmal. Mach’s wie ich! Mach dir einfach keine Gedanken.“

Ja, wenn das so einfach wäre! Josef war schon klar, dass es hierzulande nicht viele Leute gab, deren Horizont über die supergescheiten Sparideen von OECD, IWF, WIFO, Rechnungshof und wie die ganzen Anpumperer alle hießen, hinausreichte – nämlich weit, weit nach hinten. Bis zum bekümmerten Gesicht vom Schützenhöfer Hermann. Ja, Josef hatte sogar den Verdacht, dass eine satte absolute Mehrheit in dem Land, dem er gerade selbstlos seine besten Jahre schenkte, nicht einmal wusste, wer denn der Schützenhöfer Hermann überhaupt war – und erst recht nicht, was sie ihm zu verdanken hatte!

„Du hast leicht reden“, maulte Josef den Werner an. „Du hast kan Schützenhöfer Hermann. Der alles so furchtbar komplex macht.“

Werners Miene verfinsterte sich schlagartig. Das hatte er nun wirklich nicht verdient. Da war er Tag und Nacht damit beschäftigt, jedwede Sparidee, die unerwarteterweise schon jetzt irgendeinen seiner Parteifreunde befiel, sofort im Keller der Löwelstraße einzusperren und anschließend den Schlüssel zu verschlucken, damit die Öffentlichkeit bloß nicht von ihr Wind bekam. Und dann musste er sich so was sagen lassen?

„Allerweil i hätt an Schützenhöfer!“, schnaubte er. „Oder no besser: A Marek! Was hätt i denn groß zu verlieren mit ana Marek? Maximal mein Verstand, wenn i ihr zuhör. Oba sonst scho nix. Willst mein Häupl? Oder vielleicht gar mein Voves? Ha? Willst des wirklich?“

Werner schüttelte empört seine von einer harten Beachvolleyball-Schlacht gegen sechs schwedische Flugbegleiterinnen noch schweißnassen Haare. Komplex! Mit komplex kam er ihm daher! „Eins sag i dir: Mein zweiter Vorname is Komplex!“

Josef musste einräumen, dass Werner ja irgendwo sogar Recht hatte – wiewohl er dies sehr ungern und ebenso selten tat, was wiederum daran lag, dass Werner nun einmal so selten Recht hatte. Natürlich hatte er es auch nicht leicht mit den komplexen Vorarbeiten für das Budget. Was gab es schließlich bei der Aufarbeitung der Weltwirtschaftskrise Wichtigeres als den Landeshauptmannsessel in der Steiermark? Oder die absolute Mehrheit in Wien? Und es war für den Werner sicherlich genauso komplex, den Lopatka zu würgen, wenn der wieder einmal etwas über die Eisenbahner gesagt hatte, wie für ihn, Beamtenministerin Heinisch-Hosek zu knebeln, wenn die von einer Nulllohnrunde für die Beamten fantasierte.

Und für sie beide war es sicherlich gleichermaßen herausfordernd, nur ja nicht zur Unzeit – also vor der Wien-Wahl am 10. Oktober – irgendwelche Sparmaßnahmen auf Landesebene auch nur anzudenken. Man könnte es ihnen ja eventuell ansehen. Oder ein professioneller Lippenleser könnte sie dabei ertappen, wie sie im Selbstgespräch flüsterten: „Also so eine Pensionsreform für die Landes­beamten – des wär a Gschicht!“

Aber: „Budgetdisziplin“ war nun einmal für sie beide nicht nur ein leeres Schlagwort. Nein, sie konnten mit Fug und Recht von sich behaupten, diesen Begriff mit Leben zu erfüllen.

Wenn auch mit einem im Moment ziemlich stillen Leben. Manchmal beschlich Josef aber dann doch die Befürchtung, es könnte Leute geben, die diese Komplexität nicht vollends erfassten. Die es möglicherweise nicht verstünden, dass der Budgetentwurf für 2011 erst am 9. Dezember 2010 vorgelegt werden würde – und dann bis Weihnachten beschlossen sein müsste. „Und was, wenn ma am 1. Jänner keinen Beschluss haben? Weil de im Parlament vielleicht über des größte Sparpaket der Zweiten Republik a no reden wollen und so?“, sagte Josef mit brüchiger Stimme.

„Reden?“ Werner spuckte dieses Wort aus, als schmeckte es nach Galle. „Wer braucht da no lang reden? Die Leut erwarten von uns, dass wir zupacken. Handeln! Und net immer nur reden!“

Josef lehnte sich zurück und dachte kurz nach. Handeln. Genau. Das war jetzt wichtig. Er hob den Arm und schnippte mit den Fingern. Eine Minute später wieselte der griechische Barkeeper mit dem nächsten Drink herbei. Josef wies mit dem Kopf in Richtung des Beachvolleyball-Platzes und sagte: „Bei der Revanche spiel i mit.“

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Rainer Nikowitz

Kolumnist im Österreich-Ressort