Rainer Nikowitz: Schreib mal wieder!

Corona stellt auch unsere Zunft auf eine harte Probe. Aber zum Glück wissen wir ja immer, wie der Hase läuft.

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In der jetzigen, in vielerlei Hinsicht sehr speziellen neuen Situation kommt uns Journalisten ja große Bedeutung zu. Wieder einmal. Oder wie überhaupt eh immer, wie jene durchaus qualifizierte Minderheit der Kollegenschaft meinen würde, die ja schon unter normalen Umständen vor lauter Bedeutung kaum mehr gerade gehen kann – aber zum Glück für die Allgemeinheit wenigstens total gewinnbringend auf Twitter herumgockelt.

Zum einen sollten wir jetzt natürlich keine Panik erzeugen. Außer vielleicht jener sich selbst in völlig richtiger Einschätzung der Realität „Medienmogul“ nennende Chef des Mediensurrogats „Österreich“. Der darf das natürlich. Nein, er muss es geradezu, es ist einfach stärker als er. Denn schließlich könnte es ja irgendwie Geld bringen.

Wir Journalisten sollten aber die Gefahr zum anderen natürlich auch nicht verharmlosen. Das passiert zwar mittlerweile schon deutlich seltener, aber bis vor Kurzem gab es durchaus noch einen ganzen Haufen von schreibenden Virologen h.c., die ganz genau wussten, dass die ganze Aufregung lächerlich sei, die Grippe weitaus tödlicher als Corona und außerdem alle,die jetzt Vorräte einkauften, spießige Volltrottel. Diese Sicht der Dinge war vor allem in der stets ebenso auf-wie auch abgeklärten Kollegenschaft der linkeren Qualitätspresse verbreitet, dort weiß man schließlich immer genau, wie der Hase läuft. Und wenn nicht, dann ist der Hase schuld.

In einer völlig eigenen Liga spielt man allerdings, wenn man, möglicherweise sogar im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte, so etwas absondert: „Die Welt kriegt die Krise. Im Grunde wäre es an der Zeit, dass eine seriöse Organisation wie die WHO mit Pragmatismus eingreift und die strengen Quarantänemaßnahmen für beendet erklärt, weil das Coronavirus ohnehin bereits weltweit da ist. Denn wenn das noch lange so weitergeht, würgen wir das Wirtschaftssystem samt unserem Wohlstand ab.“ Diese gleichermaßen hochintelligente wie auch ungemein sympathische Weiterentwicklung des sowieso schon strunzdummen Slogans „Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut!“ hin zu „Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s wenigstens den 97 Prozent gut, die überlebt haben!“ – stammt aus einer anderen Ecke, nämlich jener, in der man sich christlich und wirtschaftsfreundlich wähnt. Aber sich halt leider im Fall des Falles für eines von beiden entscheiden muss.Und sei es halt mit ein paar Zigtausend Toten als Kollateralschaden, who the fuck cares!

Wohlstand erfordert halt Opfer. Aber Hauptsache nicht von einem selbst.

14 Tage! Zu Hause! Ein!ge!sperrt! Was für eine Story! Und wo bitte ist dieser Herr Pulitzer, wenn man ihn einmal braucht?

Andere Kollegen nähern sich der schweren Aufgabe anders, weniger „meinungsstark“ oder wofür die Autorin ihren Auswurf auch immer hält, sondern schlicht berichtend. Und dabei kommt auch immer wieder eine der hübschesten journalistischen Formen zum Einsatz: der Erlebnisaufsatz. Nicht die Reportage, nein. Bei der fährt ja ein Kollege – meist aus Gründen – irgendwohin, schaut sich um, redet mit den Menschen dort und schreibt dann.

Allerdings: eher nicht über sich selber. Und da wird die Sache dann für viele Kollegen halt rasch uninteressant. Weil das Allerspannendste, so viel muss schon klar sein, sind ja natürlich wir. Wir erleben dauernd so furchtbar aufregende Sachen mit uns selber, das kann sich ja gar niemand vorstellen. Oder besser gesagt: Könnte sich niemand vorstellen – wenn wir uns nicht anschließend pflichtbewusst dessentwegen die Finger wundschrieben. So sind, um nur ein Beispiel zu nennen, viele Journalisten, die die Freude haben, gerade Eltern geworden zu sein, sehr oft die allerersten Menschen weltweit, denen das passiert. Und flugs gibt es wieder eine Eltern-Kind-Kolumne, die eh erst 748. , in der dann in den Folgejahren atemlos darüber berichtet wird, dass die Racker nicht schlafen wollen, Zähne bekommen und in Windeln scheißen. Alles Dinge, die natürlich allesamt noch nie jemand anderem aufgefallen sind.

Eine wichtige Unterabteilung im Genre des Erlebnisaufsatzes ist aber der Selbstversuch. Nebst allen anderen guten Eigenschaften sind wir nämlich auch noch uferlos mutig und probieren also gern Sachen aus, die sich andere nicht trauen. Und schon gehen wir voran, werfen uns furchtlos auf Kreuzfahrtschiffe oder Zitronenpressen für Linkshänder. Und im Moment gehen wir natürlich am allerliebsten in Quarantäne. Manche, weil sie tatsächlich müssen. Aber andere, überhaupt die beinhartesten aller Hunde, sogar freiwillig!Kann man sich das vorstellen? 14 Tage! Zu Hause! Ein!ge!sperrt! Was für eine Story! Und wo bitte ist dieser Herr Pulitzer, wenn man ihn einmal braucht?

Was wären wir Medien im Moment wohl ohne Corona? Oder, mindestens genauso interessant: Was wäre Corona ohne uns?

Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz

Kolumnist im Österreich-Ressort