Rainer Nikowitz

Rainer Nikowitz Das Jahr der ÖVP

Das Jahr der ÖVP

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Gut, ja. Das war jetzt natürlich schon ein bisserl blöd. Und es hätte ihm irgendwer vorher einen kleinen sachdienlichen Hinweis geben müssen. Und wenn es der Hannes Rauch gewesen wäre. Denn obwohl sich Michael Spindelegger in seiner Reaktion auf quasi alles, was Hannes Rauch zu sagen hatte, durchaus eins mit 99,8 Prozent der restlichen österreichischen Bevölkerung wusste – nicht einmal er wollte es wirklich hören –, hätte er in diesem Fall durchaus eine Ausnahme gemacht. Denn dadurch hätte er dieser zwar kleinen, aber eben doch Peinlichkeit, die seinen ansonsten so glanzvoll verlaufenen Auftritt jetzt leider ein wenig trübte, entgehen können.

Schon lange, viel zu lange war es her, dass die historischen Hallen, die Michael heute mit Hoffnung füllte, etwas derart Großes, etwas so ungeheuer Erhabenes erlebt hatten.

Eigentlich seit seiner, damals die landesweiten Schlagzeilen sicher einen halben Tag dominierenden Rede zur Lage der Nation im vergangenen Jahr nicht mehr.

„Österreich ist das fünftgierigste Abkassiererland!“, hatte der Vizekanzler, der den „Vize-“ vor der ihm vor allem charismatechnisch eigentlich zustehenden Berufsbezeichnung heute mit besonderer Würde trug, eben in die zum Bersten mit begeisterten Groupies gefüllte Hofburg gedonnert. Was für eine ungeheuer starke Ansage!

Und man musste in dieser Sekunde wirklich heilfroh sein, dass ÖVP-Groupies eher selten dazu neigten, verzückt ihre Unterwäsche auf die Bühne zu werfen – wie es ja etwa beim Publikum von Tom Jones, dem singenden Pendant zu Michael Spindelegger, Usus war. Doch „Tiger“ Michael wurde von seinem Aszendenten „Haflinger“ stets mit knapper Not gerade noch in etwas weniger ungestüme Bahnen gelenkt, als der walisische Geistesbruder. Also flogen in der Hofburg Strickjäckchen und Zahnersätze – bei Michaels Publikum die eindeutig erotischere Alternative.

Bis dahin hatte alles ganz großartig funktioniert an dieser Rede, die Österreich verändern würde. Ja, Michael hatte sogar auf einem Feld gepunktet, auf dem er bisher zugegebenermaßen keine übergroße Expertise erkennen hatte lassen: beim Humor. Nein, einen solch exquisiten, fein ziselierten, in seiner fast schon anarchischen Struktur an große Vorbilder wie Monty Phyton oder aber auch Jörg Haider erinnernden Witz hätte ihm fraglos kaum jemand zugetraut. Aber an diesem Tag stellte sich Michael auf die Bühne, cool wie ein alter Entertainment-Hase, und sagte ohne mit der Wimper zu zucken, geschweige denn, selbst in einen Lachkrampf auszubrechen: „Unsere ÖVP wird im September wieder die Nummer eins im Land – ich spüre das!“

Hei, da tobte die erlauchte Zuhörerschaft! Ebenso wie bei der Aufzählung all der großen Wahlerfolge, die die ÖVP heuer schon eingefahren hatte, trotz dieses fiesen Minuszeichens, das beim jedem einzelnen davorgestanden war. Und auch bei der nochmaligen Abfeierung des großen, nachgerade übermenschlichen Sieges bei der Wehrpflicht-Volksbefragung, für den sich sicher noch Generationen von jungen Männern artig bei der ÖVP bedanken würden.

Inhaltlich hatte Michael natürlich, wie von allen atemlos und mit Recht erwartet, ganz viel Neues zu bieten. Starke Wirtschaft, hört, hört. Kein Einheitsbrei bei der Schule – viel zu lange hatte man dieses klare Wort vermisst! Lebensmittelsicherheit gemeinsam mit Niki Berlakovich gerettet – nun, mit wem denn auch sonst? Ein Highlight jagte das andere, ein programmatischer Glanzpunkt wurde vom nächsten überstrahlt, und die Bonmots reihten sich aneinander, wie die Perlen an Maria Rauch-Kallats an allem unschuldigen Hals: „Ich möchte ein Volk von Eigentümern und nicht des Volkseigentums!“ Da musste sogar Wolfgang Schüssel, der Meister des völlig pathosfreien Slogans, kurz vor Rührung schlucken.

Aber dann, dann passierte eben dieser kleine Fauxpas mit den Steuern, die jetzt endlich einmal gesenkt gehörten, vor allem die Lohnsteuer, damit es endlich, endlich zur flehentlich herbeigesehnten Entlastung des Faktors Arbeit und der Arbeitnehmer kommen könne: „Österreich ist das fünftgierigste Abkassiererland.“ Pardautz! Höchst unerfreulich, fürwahr.

Und es blieb natürlich Maria Fekter, seiner lieben, guten, ja eigentlich fast besten Freundin vorbehalten, den kleinen, sachdienlichen Hinweis auszusprechen, den Michael schon gerne ein wenig früher erhalten hätte: „Aber… wir sind doch jetzt seit 27 Jahren ununterbrochen in der Regierung. Und in den vergangenen 13 Jahren waren immer wir Finanzminister. Warum haben wir das eigentlich nicht schon längst…?“

Es war aber eh nur ein kleine Peinlichkeit, wie gesagt. Die diesen ansonsten so erfreulichen Tag nicht mehr trübte, als ein vorwitziges Wölkchen einen ansonsten gleißenden Sommertag. Und sie würde auch sicher nichts daran ändern, dass die ÖVP im Herbst endlich wieder die Nummer eins im Land sein würde. Michael spürte das. Wenn schon sonst nichts.

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Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz

Kolumnist im Österreich-Ressort