Rainer Nikowitz

Rainer Nikowitz Der Guru

Der Guru

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Seine Mutter hatte es immer schon gewusst. „Der Vickerl“, hatte sie der Familie stets beschieden, wenn sich der junge Ludwig wieder einmal mit der ihm eigenen Mischung aus Hartnäckigkeit und spielerischer Leichtigkeit beim DKT die Kärntner Straße gesichert hatte, „der Vickerl, der wird einmal ein Finanzgenie. Ein Investmentbanker. Ein Börsenguru. So einer mit Hosenträgern und einem Loft in Manhattan. Da werden wir ihn dann immer besuchen.“

Es mag sein, dass es letztere Aussicht war, die Ludwig Gerdenitsch schlussendlich dazu bewogen hatte, seine Karriereschritte in eine zumindest teilweise andere Richtung zu lenken. Was bringt denn ein Loft in Manhattan, wenn dann ständig die eigene Mutter drinsitzt? Zum Investmentbanker hatte es leider auch nicht gereicht. Aber nur ganz knapp nicht. Seiner Mutter hatte ­damals gleich Übles geschwant, als sie feststellen musste, dass am Tag von Vickerls dritter mündlicher Matura Uranus auf einmal im vierten Haus von Saturn auftauchte. Selbst ein Einstein hätte bei dieser Mörderkonstellation relativ alt ausgesehen.

Doch in zwei Punkten hatte Vickerl seine Mutter nicht enttäuscht: Er trug Hosenträger. Waren ja viel praktischer als Gürtel. Und billiger auch auf die Dauer. Und, jawohl: Ludwig war ein Börsenguru. Da konnte man jeden seiner Kollegen in der Abteilung II/7 in der Bundesfinanzierungsagentur fragen. Sowohl der Unteralbinger-Georg wie auch der Newerkla-Josef würden fraglos bestätigen, dass alles, was der Vickerl angriff, zu Gold wurde. Und wenn es seine Zähne waren.

Privat war der Vickerl bei seinen Finanzgeschäften ja immer eher konservativ gewesen. Eckzinssparbuch für den Notgroschen. Bausparkredit für das Reihenhaus. Er hatte ja damals einen Fremdwährungskredit angedacht, aber zum Ersten hatte ihn seine Mutter gefragt, ob er wo angrennt sei, und zweitens war ihm damals gerade die Frau mit dem Ofensetzer durchgegangen, noch bevor sie als Bürgin unterschreiben hätte sollen. Im Beruf hingegen, da konnte sich der Gerdenitsch-­Vickerl so richtig ausleben. Da fühlte er sich frei. Jeglicher Zwang fiel von ihm ab. Vor allem der zum Nachrechnen. Man konnte sagen, was man wollte: Es machte deutlich mehr Spaß, Derivate, deren Sinn man überhaupt nicht ­verstand, mit fremdem Geld zu kaufen als mit eigenem.

Obwohl, als der Vickerl damals seinen ersten Batzen Schnitt gemacht hatte und mit diesen Platinum-Class-­Papieren von einem topseriösen Höchstfinanzinstitut, das in einem geräumigen Briefkasten auf den britischen Jungferninseln – oder waren es die jungfräulichen Briteninseln gewesen? – ansässig gewesen war, nur einen Verlust von fünf Prozent der eingesetzten Milliarde zu gewärtigen hatte ­(damals hatte er von den beeindruckten Kollegen den Spitznamen „Katrina“ erhalten, weil er ja auch wie ein Hurrikan durch die Karibik fegte), tat es ihm schon ein wenig leid, dass er nicht seine Briefmarken-Ersttagssammlung verkauft und den fraglos in die zig gehenden Erlös mit in die Schlacht geworfen hatte.
Und natürlich war es auch nicht fair, dass ein Manager in der Privatwirtschaft an seiner Stelle einen fetten Bonus bekommen hätte.

Andererseits hatte seine Mutter schon Recht. Ein Guru zu sein war schön und gut. Aber so eine zusätzliche Pragmatisierung machte das persönliche Risikomanagement doch erheblich angenehmer. Gut, in letzter Zeit hatte er sich mit seinen Investments ein wenig vergogelt. „Wennst ka Glück hast, kommt des Pech a no dazua“, pflegte der Newerkla-Josef zu antworten, wenn man von ihm wissen wollte, was denn da auf den ­Cayman Islands, auf die sich der Gerdenitsch-Guru begeben hatte, nachdem er mit den Jungferninseln, Barbados, den Grenadinen und Antigua fertig war, um Himmels willen schiefgelaufen war. Wobei: Das war ja ohnehin nur eine total momentane Momentaufnahme. Und die Verluste noch nicht einmal ­realisiert. Der Finanzminister hatte schon Recht: Alles kein wirkliches Problem.

Zudem hatte „Katrina“ Gerdenitsch in einem stets am Pulsschlag der internationalen Finanzwelt horchenden, total gut informierten Online-Forum (www.nacktegier.com) gelesen, dass nordkoreanische Staatsanleihen im Moment das heißeste Zeug unter der Sonne sein sollten. In etwa vergleichbar mit paraguayanischen Schweinebäuchen, die, wie Insider wussten, wesentlich fetter waren als die Weltmarktkon­kurrenten aus Angola. Außerdem warteten einige mit einem hervorragenden Quadruple C bewertete Unternehmensanleihen aus der gerade wieder am Beginn eines jahrzehntelangen Aufschwungs stehenden Autoindustrie darauf, in großem Stil von Vickerl gezeichnet zu werden. Der Unteralbinger-Schorsch sah es genau am Flackern in seinen Augen: Der Guru hatte da wieder einmal eine Kärntner Straße im Visier. Das war schon komisch. Kaum gab man ihm ein paar Milliarden, war er ein anderer Mensch.

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Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz

Kolumnist im Österreich-Ressort