Rainer Nikowitz

Rainer Nikowitz Der Profi

Der Profi

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Heinrich war ein ausgesprochen vorsichtiger Mann. Egal, wohin er ging, ob nun zu einem Kundentermin oder nach Hause in die verschwiegene kleine Wohnung, deren alleinstehender eigentlicher Mieter jetzt schon fünf Jahre lang niemandem fehlte, er nahm nie den direkten Weg. Er mäanderte vielmehr so lange offenbar ziellos durch die Stadt, bis er absolut sicher sein konnte, dass ihn niemand verfolgte. Er hatte acht Wertkarten für sein Handy – das hatte er sich von Karl-Heinz Grasser, seinem Vorbild im Spurenverwischen, abgeschaut –, telefonierte ausnahmslos in großen Menschenansammlungen und nahm anschließend sofort den Akku heraus. Heinrich rasierte sich auch täglich am ganzen Körper und verstreute an seinen Arbeitsplätzen stets ein paar von den fremden Haaren, die er einem Friseur in Sopron um zwei Flaschen Obstler abgekauft hatte – mit der Behauptung, er wolle sich einen Pepi daraus machen lassen.

Heinrich war eben ein Profi durch und durch. Und als solcher sehr glücklich in Österreich – denn die Auftrags­lage war ausgezeichnet. Erst gestern hatte Heinrich zum Beispiel einem überaus zufriedenen Kunden dazu verholfen, die Mindestrente fürderhin nicht mehr mit seiner Frau teilen zu müssen. Die alte Xanthippe war gerade dabei ­gewesen, ein Blunzengröstl zuzubereiten, als Heinrich mit seiner 45er Magnum dafür sorgte, dass der Blutwurst eine neue Geschmackskomponente hinzugefügt wurde. Oder vor zwei Wochen: Da hatte ein Taxler befunden, 14 andere Taxis vor ihm am Standplatz seien jetzt nicht unbedingt eine umsatzfördernde Aussicht. Aber zum Glück konnte Heinrich mit seiner Uzi so einiges. Mitunter sogar eine unschöne Buchhaltung wieder ins Gleichgewicht bringen.

Natürlich hätte Heinrich bei seinem Können auch international Karriere machen können. Aber, er war nun einmal Österreicher – und als solcher hatte er es nicht so mit der Mobilität. Daheim blieb daheim. Seine Kollegen waren da auch nicht viel anders. Und das wiederum führte dazu, dass sich der naive Normalbürger ja überhaupt keine Vorstellung davon machte, wie viele Auftragskiller in Österreich herumliefen! Der Heurige, in dem Heinrich und seine Kollegen ihren alljährlichen Dum-Dum-Stammtisch abhielten, wurde langsam zu klein – und dabei war das ­Lokal auf die schnelle Abfütterung großer Busgruppen spezialisiert. Wobei, wenn Heinrich und seine Freunde gerade hier feierten und sich etwas beengt fühlten, dann waren die Busgruppen bei der Abfahrt in der Regel natürlich ­erheblich kleiner als noch bei der Ankunft.

Ja, das Leben hatte es wirklich gut gemeint mit dem Heinrich. Er hatte sein Hobby zum Beruf gemacht, verdiente ausgezeichnet damit und war rundum zufrieden. Wie viele Menschen konnten das denn schon von sich behaupten? Und das Beste war: In Österreich hatten Berufskiller von der Justiz ja praktisch nichts zu befürchten. Wenn diese Knallköpfe denn überhaupt einmal einen von Heinrichs Kollegen erwischten – was so gut wie nie vorkam –, dann brauchte der nach einer allfälligen Verurteilung – die noch viel seltener vorkam – im Gefängnis bloß dem überaus verständnisvollen Psychologen verklickern, wenn er nicht so eine schreckliche Kindheit mit nur einem einzigen, noch dazu Schwarz-Weiß-Fernseher im Haus gehabt hätte, wäre er sicherlich Sozialarbeiter geworden – und nicht skrupelloser Serienmörder. Dann noch ein wenig Scheinarbeit in der Gefängnisbibliothek – und schon war man wegen
guter Führung und mit einer hervorragenden Prognose betreffend die hochgradige Unwahrscheinlichkeit jedweden Rückfalls wieder draußen.

Aber dann, eines schönen Tages, passierte etwas, das Heinrichs bis dahin so wohlgeordnetes Killerleben ­völlig durcheinanderbrachte. Bis dahin hatte sich Heinrich nie für Politik interessiert. Schon gar nicht in diesem
Zirkus, der Wahlkampf genannt wurde und von dem sich die klugen Strategen offenbar wirklich erwarteten, dass er jemanden zur Stimmabgabe für gerade ihre Partei verleiten könnte. Aber dann rückte ihm dieser Stronach, der fraglos umtriebigste Frank seit Frank’n’furter, völlig unvermutet auf die Pelle.

„Berufsmörder – Todesstrafe!“, donnerte der Kandidat ebenso streng wie wohl überlegt. Und schon musste sich Heinrich fragen, was denn das bloß für ein Gefühl sein mochte, das da langsam an seinen Beinen hochkroch, ihm dann den Magen verkrampfte und sich schließlich begleitet von Stechen und Pochen hinter seinen Schläfen einparkte. Das war doch wohl hoffentlich nicht … Nein, das konnte nicht sein. Oder? Ja, doch. Es konnte eigentlich gar nichts anderes sein. Heinrich hatte Angst. Zum ersten Mal in seinem Leben.

Und was dann passierte, war nur eine völlig logische ­Folge dieses bahnbrechenden Vorstoßes des Wahlkämpfers: Heinrich fuhr eines Nachts auf die Reichsbrücke, warf mit einem großen, erlösenden Schwung all seine Waffen und falschen Ausweise in die Donau – und wurde Regalbetreuer bei Lidl.

Wieder war die Welt ein Stück besser geworden.

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Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz

Kolumnist im Österreich-Ressort