Rainer Nikowitz

Rainer Nikowitz Die Zwei

Die Zwei

Drucken

Schriftgröße

Als an jenem Morgen die Sonne über Tripolis aufging, dankte Muammar – wie immer – zuerst Allah. Und Silvio – wie immer – sich selbst. Es war Silvios zweiter Tag in Libyen – und er konnte nicht behaupten, restlos zufrieden zu sein. Gestern hatte er es in der aus 300 zu allem bereiten Wüstentöchtern bestehenden Leibgarde seines neuen besten Freundes nur bis Nummer 17 gebracht. Und er hatte dabei kein einziges Mal gehört, was er bei solchen Gelegenheiten selbstverständlich zu hören erwartete: dass er der beste Liebhaber der Welt sei.

Gut, natürlich mussten Muammars Leibgardistinnen, die jemand anderem diesen Titel verliehen als ihrem Herrn und Meister höchstselbst, in diesem Falle damit rechnen, Muammars feingeistigem Sohn Hannibal zur weiteren Behandlung übergeben zu werden. Silvio sah ein, dass das nicht unbedingt eine angenehme Aussicht darstellte. Aber er war es nun einmal gewohnt, keine Kompromisse zu machen, wenn es um die Wahrheit ging – und diesen hohen moralischen Maßstab legte er nun einmal auch bei anderen an.

Muammar probierte vor dem Frühstück – wenn der mit Paradiesvogel-Ani in Aspik gefüllte Schneeleopardenembryo wieder dermaßen penetrant nach Alba-Trüffel wie beim letzten Mal schmecken sollte, konnte sich der Koch im Übrigen schon mal bei Hannibal melden – noch ein paar neue Uniformen an, die Michael Jackson ja jetzt nicht mehr brauchte. Doch leider passte keine davon zu dem neuen Orden, den er sich gestern verliehen hatte. Bestürzt ließ Muammar seinen Kostümbildner auspeitschen und trug ihm danach auf, bei George Lucas wegen des Schnittmusters von Darth Vader nachzufragen.

Silvio überlegte in der Zwischenzeit, wie er es Muammar denn noch schmackhaft machen konnte, ihm den AC Milan abzukaufen.
Nachdem es in der Zwischenzeit kaum mehr einen Staatschef der freien Welt gab – von der unfreien, die Silvio vor allem wegen ihrer presserechtlichen Vorteile immer sympathischer wurde, ganz zu schweigen –, der vor dem großen und geistig zweifellos kerngesunden Libyer noch nicht einen artigen Diener gemacht hatte, stellte wohl die Aussicht auf einen Platz auf der Ehrentribüne bei einem Champions-League-Finale keinen wirklichen zusätzlichen Anreiz dar.

Wobei … vielleicht gab es ja doch etwas, womit Silvio helfen konnte. Er setzte sich auf seinen Schild und ließ sich von zwölf Bauchtänzerinnen, die alle ihre sieben Schleier schon verbraucht hatten, zum Zelt des zweitbesten Staatsmannes aller Zeiten tragen.

Muammar war gerade dabei, ein Sitzbad in Kameljungfrauenmilch zu nehmen – angeblich ein wahres Wundermittel gegen Hämorrhoiden – und sich einen neuen Lidstrich tätowieren zu lassen. „Du hast ja völlig Recht!“, begann Silvio die Unterhaltung. „Ich weiߓ, antwortete Muammar gütig. Und nach einer kurzen Phase stolzen Schweigens fügte er an: „Womit?“

Silvio strich sich mit einer Geste, deren nachlässige Eleganz ihn in der Sekunde an Tony Soprano erinnerte, durch das dicht implantierte Haupthaar. „Diese Schweiz ist komplett unnötig. Überhaupt jetzt, wo das Bankgeheimnis ehrbare Bürger wie uns bald nicht mehr schützen wird.“
In den Augen des größten arabischen Führers seit Hadschi Halef Omar loderte mit einem Mal diese unvergleichliche Glut auf, die schon tausende Frauen willenlos vor ihm in den Treibsand sinken hatte lassen. „Ja!“, rief er enthusiastisch aus. „Weg mit ihr! Lassen wir das Hannibal machen!“

Nun wusste Silvio, dass die erklärte Absicht von Muammars in jeder Hinsicht gelungenem Sprössling, die Schweiz von der Landkarte zu bomben, falls man ihm das geeignete Werkzeug dafür in die Hand gäbe, in der von jahrzehntelanger Demokratie dramatisch verweichlichten EU nicht auf rückhaltlose Zustimmung stoßen würde.

Andererseits hatte ihn irgend so eine Schwuchtel aus der Kommission erst kürzlich kritisiert … Ihn! Man sollte all diese lächerlichen Figuren, die in ihrem ganzen Leben noch nie eine 18-Jährige väterlich betreut hatten, zum Teufel jagen. Doch, ach! Wie immer, wenn er kurz in Rage geriet, machte sich sofort wieder diese ungeheure Vernunft in ihm breit …
„Versuch es doch über die UN“, schlug er vor.

Muammar verzog das Gesicht. „Das habe ich schon. Aber die haben abgelehnt.“ Er spuckte verächtlich in den Sand. Sein erster Adjutant stürzte sich sogleich auf den Auswurf und beförderte ihn in eine Glasvase, die er sodann für die Nachwelt versiegelte.

Silvio beschloss, diesen schönen Brauch auch in Italien einzuführen. Und dann hatte er mit einem Mal die rettende Idee. „Weißt du was?“, sagte er begeistert. „Du kaufst meinen sympathischen Fußballklub, und ich erledige im Gegenzug dein Problem wie im Flug. Ich bin doch nicht umsonst Superman!“

Muammars Miene hellte sich auf. „Das trifft sich gut, mein Freund“, sagte er feierlich, stand auf und öffnete den Westflügel seinen Kastens.
„Ich habe da nämlich zufällig genau das richtige Kostüm für dich.“

[email protected]

Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz

Kolumnist im Österreich-Ressort