Rainer Nikowitz: Dramenwahl

Die Regierung beschäftigte sich in den vergangenen Tagen wieder einmal hingebungsvoll mit dem, was sie am liebsten hat: sich selbst.

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Sprinter müssen das ja extra trainieren. Zigtausende Male hat sich Usain Bolt schon hingekniet, mit gespitzten Ohren auf den Startschuss gewartet und sich dann so explosiv wie möglich auf die Bahn geschmissen – um nach ein paar schnellen Schritten locker auszulaufen und das Ganze noch einmal zu üben. Und noch einmal und noch einmal.

Ganz so oft tun das die österreichischen Großkoalitionäre nicht. Aber sie kommen den Kurzstreckenläufern allen Berufsgruppen diesbezüglich am nächsten (Radhamster lassen wir jetzt einmal außer Acht). Unsere Regierung startet ja auch ständig neu. Aber die Sprinter sind im Vergleich trotzdem nur blutige Amateure – denn die machen das schließlich nur im Training. Im Rennen selbst drehen sie eher selten nach der Hälfte um und fangen mit großem Pomp und Trara noch einmal an. Da merkt man halt, dass die zwar über jede Menge Muskeln, aber eher weniger Raffinement verfügen. Wer braucht schon einen Zieleinlauf? Das begeisterte Publikum wird schließlich – wie die gewieften Strategen in SPÖ und ÖVP seit Langem wissen – mit einem perpetuierten Anfang zu weitaus frenetischeren und vor allem längeren Akklamationen getrieben. Mitunter sind die ja noch nicht einmal verklungen, wenn schon wieder der nächste Neustart ansteht. Also übermorgen oder so.

Nachdem der lauteste Applaus aus den eigenen Reihen kommt, tun so manchem Minister quasi dauernd die Hände weh.

Natürlich ist das schon auch anstrengend. Nachdem der lauteste Applaus aus den eigenen Reihen kommt, tun so manchem Minister quasi dauernd die Hände weh. Aber, hey: Niemand hat behauptet, dass Regieren leicht ist. Und man tut es ja gern. Für das großartige Land. Und die wunderbaren Menschen. Für das große Ganze, das man natürlich nie aus den Augen verliert, so sehr einem der Koalitionspartner dabei vielleicht manchmal die Sicht verstellen mag. Und ja, auch für die FPÖ. Da ist man selbstlos.

Jedem Anfang wohnt bekanntlich ein Zauber inne, und wir sollten dankbar dafür sein, diesem praktisch ständig erliegen zu dürfen. Ein Ende hat hingegen so etwas … unangenehm Finales. Dem fiebert man höchstens bei einer Fußball-WM entgegen – und ist dann nachher regelmäßig völlig leer, wenn es vorbei ist. Und haltlos enttäuscht, dass man jetzt wieder vier Jahre warten muss, bis die nächste anfängt. Das erspart uns die Große Koalition. Außer natürlich …

Außer natürlich, es stimmt, was die ÖVP Kanzler Kern nachsagt: dass es nämlich zu seinem Plan A eine Coda gibt, die er bei der großen Oper in Wels noch nicht zur Aufführung gebracht hat. Weil er in Wirklichkeit sehr wohl ins Ziel möchte, und zwar so schnell wie möglich. Da hilft es klarerweise, wenn man dieses um ein schönes Stück nach vorne verlegt. Schließlich ist Kerns persönlicher Anfang als Kanzler jetzt auch schon wieder eine schöne Weile her, und der Zauber, der sich via Instagram im Lande verbreitete, läuft Gefahr, auf ein ähnliches Entzückungshervorrufungsniveau herabzusinken wie die olle Hase-aus-Hut-Nummer.

Sollte es also tatsächlich so sein, dass die sich ziemlich langwierig gestaltenden Vorbereitungen zum gerade aktuellen Koalitionsneustart von Anfang an gar nicht so furchtbar ernst gemeint waren?

Sollte es also tatsächlich so sein, dass die sich ziemlich langwierig gestaltenden Vorbereitungen zum gerade aktuellen Koalitionsneustart von Anfang an gar nicht so furchtbar ernst gemeint waren? Und nur dazu da, um nach kräfteraubenden Marathonverhandlungen, nervenzerfetzenden Tagen, durchwachten Nächten und einer abgesagten High-Profile-Auslandsreise hohlwangig und ausgezehrt vor das Volk treten und sagen zu können: Ich habe alles probiert – aber trotz der bis an den Rand der Selbstentäußerung reichenden Bemühungen geht es einfach nicht mehr. Und er hätte ja recht. Natürlich geht es nicht mehr. Und das wahrlich nicht erst seit dieser Woche. Aber weil, so will es die Legende, bei vorzeitigen Wahlen derjenige mit Liebesentzug bestraft wird, der sie ausruft, muss davor eben noch ein allerletztes Eheseminar durchlitten werden, a little more conversation also, bevor endlich von den angeblich schon mehr oder minder fertig in den Schubladen liegenden Wahlplakaten herunter befreit „Action!“ gerufen werden kann.

Sollten wirklich Neuwahlen ausgerufen werden – und die Möglichkeit stand bei Redaktionsschluss dieser profil-Ausgabe ziemlich breitbeinig im Raum – dann hätte man sich allerdings die Charade vorher durchaus auch sparen können. Wer einfach aufgrund des Faktums, dass gewählt wird, so böse wäre, dass er quasi zu Fleiß eine Oppositionspartei wählte, muss die letzten paar Jahre, die diese Koalition gemeinsam durchlitten hat, in einem blick- und schalldichten Raum verbracht haben oder auf echt harten SM stehen. Noch eine jetzt aber wirklich allerallerletzte Chance, die sich diese Aneinanderkettung in Antipathie selbst gibt, nur um sie dann wieder jetzt aber wirklich ein allerallerletztes Mal hingebungsvoll zu vernebeln und anschließend die allerallerallerletzte Chance auszurufen? Wer das wirklich will, möge jetzt bitte die Hand heben.

Ist gut, Herr Mitterlehner, ich hab Sie gesehen. Sonst noch jemand?

Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz

Kolumnist im Österreich-Ressort