Rainer Nikowitz: Haltlose Huldigung

Wir müssen dringend unser Verhältnis zur Türkei ändern. Und zwar in die einzig mögliche Richtung.

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Die Türkei ist beleidigt.

Jetzt könnte man natürlich einwenden, dass der Neuigkeitswert dieser Feststellung überschaubar ist. Eigentlich könnte man diesen Satz mittlerweile täglich veröffentlichen – und er wäre nie falsch. Beim gerade aktuellen Grund für die türkische Verstimmung könnte man zwar ein wenig den Überblick verlieren – diesmal ist es die Resolution des Deutschen Bundestags, in welcher der türkische Genozid an den Armeniern vor 100 Jahren als das bezeichnet wird, was er war –, aber das ist nicht weiter tragisch. Denn der Grund von heute unterscheidet sich in aller Regel ohnehin nur in Details von dem von gestern. Er fußt im Prinzip immer auf der Weigerung des sturen Rests der Welt, die fleckenlose Perfektion und allumfassende Großartigkeit des tollsten Staates im Universum und natürlich seines von Allah in einem besonders lichten Moment auf die Erde entsandten großen Führers lautstark, uneingeschränkt und möglichst permanent zu preisen.

Nun würde man an sich mit einem Land, dessen oberste Repräsentanten permanent das Verhalten von Dreijährigen, denen in der Sandkiste eben das Schauferl entwendet wurde, an den Tag legen und die dann auch noch ultimativ erwarten, von irgendjemandem ernst genommen zu werden, genauso verfahren wie mit besagten Dreijährigen: Man spielt einfach nicht mehr mit ihnen. Weil eben keiner gern mit ADHS-Kindern mit zusätzlicher unbehandelter Aggressionsproblematik spielt. Allerdings hat Angela Merkel befunden, dass es für den an sich nicht gänzlich unmächtigen Global Player EU total alternativlos ist, sich vom ständig mit hochrotem Kopf herumbrüllenden Klein-Recep Sand ins Gesicht hauen zu lassen. Denn bekanntlich widerspricht das Stoppen des Migrantenstroms nur dann auf weitgehend geheimnisvolle Weise nicht dem europäischen Geist, solange die Türkei dies besorgt und nicht etwa die EU selbst – zum Beispiel mit der, zugegeben, verwegenen Idee eines funktionierenden Schutzes der Schengen-Grenze.

Also scheint es im Sinne der Merkelschen-Appeasement-Doktrin dringend geboten, für mehr gesamteuropäische Beweihräucherungsbereitschaft zu sorgen. Wir brauchen nicht so sehr eine Politik der Handelsabkommen und finanziellen Anreize. Also, schon auch. Aber viel wichtiger und zielführender wäre eine Politik der Gefühle, eine Charmeoffensive, die auf die labile türkische Psyche eingeht und ihr das gibt, was sie ja wohl unzweifelhaft verdient: haltlose Anhimmelung.

Für den Anfang sollten wir die Türkei gleich einmal bei der EM gewinnen lassen.

So ist es zum Beispiel wirklich nicht zu viel verlangt, der Türkei den EM-Titel zukommen zu lassen, wenn möglich in einem finalen Elferschießen gegen Deutschland, bei dem der nach zweistündigen ihn feiernden Sprechchören aller Zuschauer in letzter Minute doch noch eingewechselte Erdogan höchstselbst den entscheidenden Elfer verwandelt. Und zwar mit verbundenen Augen und per Fersler – einfach, weil er es kann.

Die europäischen Standesämter sollten anschließend angewiesen werden, bei männlichen Geburten völkerverständigend auf die Eltern einzuwirken und ihnen die Vornamen Recep oder Tayyip wärmstens zu empfehlen. Notfalls sollte hier mit finanziellen Anreizen nachgeholfen werden, bezahlen sollen das gefälligst die Deutschen. Falls auch das nicht den angepeilten fächendeckenden Erfolg bringt, bleibt immer noch der zoologische Umweg. Sollte also demnächst irgendwo in einer stillen Au möglicherweise eine neue Lurchart entdeckt werden, ist völlig klar, nach wem sie ehrenhalber benannt werden muss. Ersatzhalber ginge auch ein hübsches Geißeltierchen.

Das Liebeswerben darf sich aber natürlich nicht nur auf den Sultan beschränken, auch seine Untergebenen haben Huldigung verdient, damit sie nicht mehr gezwungen sind, von schwerer Enttäuschung befeuerte hässliche Facebook-Einträge zu verfassen. Die demnächst anstehende Aufhebung der Visapflicht ist zwar schön, geht aber natürlich nicht weit genug. Ihr muss die sofortige Niederlassungsfreiheit folgen, bei Vorlage eines gültigen AKP-Parteibuches in Österreich, ergänzt durch eine gratis ÖAMTC-Klubkarte und einen Tinder-Account mit zehn garantierten Schlampen-Kontakten (Letzteres wird bei Frauen klarerweise durch ein rot-weiß-rotes Kopftuch ersetzt).

Oder nein, machen wir doch gleich Nägel mit Köpfen: Die doch ziemlich langwierigen und aufgrund der fortgesetzten Weigerung der EU, einfach die türkische Position zu übernehmen, sehr frustrierenden Beitrittsverhandlungen sind sofort abzubrechen und der Beitritt der EU zur Türkei per Akklamation der Kommission zu beschließen. Der gemeinsame Kontinent heißt dann Türopa, sämtliche EU-Institutionen übersiedeln nach Kasimpasa, den Geburtsort Erdogans, in der Hoffnung, dass sie aufgrund der dortigen Vibes vom richtigen Spirit durchdrungen werden.

Dann könnten wir zumindest den ersten Schritt geschafft haben. Denn dann dauert es sicher nur noch ein paar Jahre, bis uns die Türkei vielleicht verzeihen kann.

Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz

Kolumnist im Österreich-Ressort