Rainer Nikowitz

Rainer Nikowitz Im Ernst!

Im Ernst!

Drucken

Schriftgröße

Ernst Strasser war so gut getarnt, dass kein Spion, egal, ob er nun aus der Kälte kam oder aus Neulengbach, vor ihm sicher sein konnte. Von seinem nach allen Regeln der Klandestinkunst eingerichteten Beobachtungspunkt aus – er hatte ja damals im Innenministerium in puncto Geheimdienstarbeit weit mehr gelernt als bloß das todsichere Verschlüsseln von Postenschacher-E-Mails – würde er die feindlichen Agenten entlarven, stellig machen und anschließend vermutlich mit ein paar rasend schnell ausgeführten Tigerkrallenschlägen, die er sich von seinem Chuck-Norris-Lieblingsvideo abgespickt hatte, niederstrecken.

Nachdem der Ernstl aber, wie praktisch jeder wusste, ein herzensguter Kerl war, taten ihm die Burschen, über die er bald hereinbrechen würde wie Erwin Pröll über eine Kamptaler Veltlinerverkostung, fast ein bisschen leid. Es war sicherlich ihr erster Auftrag gewesen. Denn dass sie blutige Anfänger waren, merkte man schon allein daran, dass sie dachten, einen Ernst Strasser müsse man mit 100.000 Euro bestechen – wo doch jeder halbwegs wachen Nagelpflegerin klar war, dass schon viel weniger ausreichte.

Dennoch war er natürlich nicht nach London geflogen – auf eigene Kosten wohlgemerkt, etwas, das er sonst nie tat, weil wozu war man denn bitte EU-Abgeordneter –, um unverrichteter Dinge wieder abzuziehen. Also ohne ein paar Skalps aus den Reihen der CIA, des MI5, KGB, ARBÖ, KAC, SMS, BDSM oder wer auch immer hinter diesem plumpen Versuch steckte, seine nicht erst seit dem Bekanntwerden des 100.000-Euro-Honorars von Peter Hochegger tadellose Reputation zu beschädigen.

Auch bei diesem Auftrag, der, wie sich später herausstellte, ein lästiges Problem einer ausländischen Kundschaft zum Inhalt hatte – Ernst beseitigte es schließlich eiskalt –, hatte er ja damals kurz gedacht, es stecke kein Lobbyist dahinter, sondern ein Geheimdienst. Ein Mann von internationalem Format wie er musste schließlich permanent damit rechnen, ins nachrichtendienstliche Fadenkreuz zu geraten. Seine aufsehenerregende Tätigkeit in Brüssel brachte dies nun einmal mit sich. Dieses Berufsrisiko, das er dem braven Vorzugsstimmenkaiser Othmar Karas niemals zugemutet hätte, weshalb sich ja auch er an Othmars statt als Delegationsleiter der VP unters Joch zwingen hatte lassen, nahm einer wie er eben mit gleichmütigem Achselzucken hin. „If you can’t stand the meat, get out of the kitchen“, pflegte er in seinem Freundeskreis – also vorm Spiegel – stets zu sagen und anschließend den rechten Mundwinkel zu einem verächtlich schiefen Grinsen hochzuziehen.

Ernst versuchte sich vorzustellen, Othmar würde nun an seiner Stelle hier sitzen. Er wäre an dieser herkulischen Aufgabe wohl heulend verzweifelt. Wahrscheinlich wäre ihm, der halt aufgrund seiner mangelnden Berufserfahrung nicht über jenen kriminalistischen Spürsinn verfügte, den Ernst an sich selbst so bewunderte, gar nicht in den Sinn gekommen, dass man ihm eine gemeine Falle stellen wollte.

Plötzlich riss eine schneidende Stimme Strasser aus seinen wie immer hochinteressanten Gedankengängen. „Excuse me, Sir. May I get you anything else?“

Ernst war mittelschwer irritiert. Wer wagte sich da einfach so in die Höhle des Grieskirchner Löwen? Dieser offenbar von galoppierendem Wahnwitz heimgesuchte Kerl hatte hoffentlich eine absurd hohe Lebensversicherung.
Das Gesicht des Kellners tauchte in dem Loch auf, das Ernst mit der Nagelschere in die aufgeschlagene „Sunday Times“, hinter der er sein Gesicht verbarg, geschnitten hatte. „Another Spritzwine maybe?“

Strasser fühlte den Zorn des rechten Gerechten in sich aufsteigen. So ähnlich musste es dem Mensdorff-Ali gegangen sein, als sie ihn damals in dieser Welthauptstadt der Dummdreistigkeit völlig zu Unrecht eingesperrt hatten. Dieser englische Olm hier gefährdete in seiner Unbedarftheit den Erfolg seiner Mission aufs Gröbste. „Go away“, zischte er böse. „I have an operation here!“

Der Kellner schaute verdutzt. „Pardon me?“ „Behind you. The agents!“ Der Kellner schaute sich langsam um, nicht ohne Ernst aus dem Augenwinkel heraus weiterhin zu beobachten. Aus dem Reisebüro gegenüber kamen gerade zwei Männer heraus. „The travel agents?“, fragte der Kellner verständnislos. „Oh, yes. They travel! Sometimes to Brüssel, where they try to lay me. But there they must get up earlier!“

Der Kellner machte auf dem Absatz kehrt und flüchtete in die Küche. In den folgenden drei Tagen, die Ernst hinter seiner Zeitung verbrachte, ließ er ihn in Ruhe.

Leider musste Ernst schließlich doch ohne zählbaren Erfolg aus London abreisen. Die Zeit drängte, denn in Brüssel wartete eine Menge Gesetzesentwürfe, die er weiterleiten musste. Aber das bedeutete keineswegs, dass in dieser Sache hier das letzte Wort schon gesprochen war. Nach seiner Rückkehr musste er gleich dem Othmar und natürlich auch dem Pröll-Pepi davon erzählen. Oder, wenn er so genau darüber nachdachte, vielleicht auch nicht.

[email protected]

Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz

Kolumnist im Österreich-Ressort