Rainer Nikowitz

Rainer Nikowitz Kontobewegung

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Natürlich hatte man ihn in der Ausbildung darauf vorbereitet. Hatte ihm eingeschärft, was in einer solchen Situation zu tun sei: Ruhe bewahren, den stillen Alarm betätigen, mit dem Täter sprechen und ihm das Gefühl geben, dass man alles tue, was er verlange – dabei aber durchaus versuchen, Zeit zu gewinnen. Aber wenn man dann tatsächlich einmal in so eine grenzwertige Situation geriet, war das alles wesentlich leichter gesagt als getan.

Noch dazu kannte der Bankangestellte den Mann, der da vor ihm stand und barsch Geld verlangte. Nie hätte er ihm so etwas zugetraut. Es war der Petzenkofler. Seit Jahrzehnten Kunde. Nicht unbedingt einer der Hellsten. Er hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, sich zu maskieren.

Der Bankangestellte beschloss, es mit Reden zu probieren. Vielleicht konnte er Petzenkofler von dieser Wahnsinns­tat abbringen. „Herr Petzenkofler“, sagte er mit leicht bebender Stimme, „jetzt seien Sie doch vernünftig. Sie wollen das doch gar nicht wirklich. Und wo kämen wir denn hin, wenn das jeder täte?“

Petzenkofler schüttelte trotzig seinen hochroten Kopf. „Des is mir wurscht!“, kläffte er. „Geben S’ mir das Geld. Sofort! Sonst passiert was!“ Auch bei freundlicher Betrachtungsweise musste man zugeben, dass der Petzenkofler immer schon eine leicht asoziale Ader gehabt hatte. So ging er etwa gewohnheitsmäßig immer ausgerechnet dann auf die kleine Seite, wenn im Fernsehen der große Werbeblock vor der Primetime begann. Und selbst wenn man geneigt war, dieses mikroökonomisch höchst bedenkliche Wasserlassen eher als Fahrlässigkeit denn als Vorsatz zu qualifizieren: Dass Petzenkofler darüber hinaus in seinem ganzen Leben nicht eine einzige fondsgebundene Lebensversicherung abgeschlossen hatte, bewies ja wohl, wie wenig er sich ums große Ganze scherte.

Der Bankangestellte versuchte es weiterhin im Guten. „Herr Petzenkofler“, sagte er so sanft, wie es ihm in dieser angespannten Lage halt möglich war, „Sie werden doch sicher von diesen ganzen dummen Sachen in der letzten Zeit gehört haben. Zuerst in Amerika, dann in Griechenland. In Irland, in Spanien. Im Osten. Überall halt.“

Natürlich hatte er. „Ja. Die wollen alle Geld. Jetzt will ich auch eins.“ Beinahe wäre dem Bankangestellten an dieser Stelle ein Lächeln ausgekommen. Wie naiv konnte ein Mensch ­eigentlich sein?

„Aber gehen S’, Herr Petzenkofler! Schauen Sie: Es gibt viele Möglichkeiten, wo das Geld sein kann. Entweder ist es in dieser entzückenden Wüstenstadt in Nevada, die nur aus Neubauten besteht, in die nie jemand eingezogen ist, weil alle, die dort gebaut haben, schon vorher bankrott waren. Es könnte allerdings auch sein, dass es als japanischer Mittelklassewagen in Ungarn herumfährt, der mit einem Fremdwährungskredit gekauft wurde, der leider durch die ebenso unerfreuliche und von niemand vorhersehbare Währungsentwicklung nie mehr abbezahlt werden wird. Oder es ist in einem irischen Whiskeyfass – was weiß ich! Aber was ich sicher weiß, ist: Hier ist es nicht. Es ist weg, verstehen Sie? Und es kommt nicht mehr zurück.“ Der Petzenkofler fühlte sich mit einem Mal sehr schwach. „Aber, ich … ich habe doch auch ein Recht …“, stammelte er unschlüssig.

Der Bankangestellte fühlte, dass er jetzt Oberwasser bekam. „Recht, Recht“, sagte er streng. „Und die anderen, die haben kein Recht? Die institutionellen Anleger? Die Aktionäre? Glauben Sie, Sie sind allein auf der Welt? Geld muss arbeiten. Und das Geld, das Sie jetzt von mir wollen, hat sich halt entweder die falsche Branche zum Arbeiten ausgesucht oder das falsche Land.“

Petzenkoflers Knie wurden weich. „Aber da gibt es doch diesen Schutzschirm“, flehte er. „Den von der EU. Ich möchte da auch drunter. Bitte. Ich brauch eine neue Zahnprothese. Und mein Enkerl ist gerade arbeitslos geworden und …“

Der Bankangestellte unterbrach ihn. „Herr Petzenkofler“, sagte er und betonte jede Silbe extra lang, wie man es bei leicht Minderbemittelten halt tun musste. „Sie sind der Schutzschirm!“ Petzenkofler wankte, als würde er gleich in Ohnmacht fallen. „Aber so wie ich es sehe, Herr Petzenkofler, sind Sie als Schutzschirm leider eine ziemliche Niederlage!“

Petzenkofler kam nicht mehr dazu zu antworten. Er hatte nicht mitbekommen, dass der Schalterbeamte den stillen Alarm betätigt hatte. Er hatte auch nicht mitbekommen, dass sich in seinem Rücken ein schwer bewaffneter Trupp der Alarmabteilung angeschlichen hatte. Petzenkofler wurde von zwei Männern mit Gesichtsmasken niedergerissen und am Boden fixiert. Sie entwanden ihm sein Eckzinssparbuch und hielten das Corpus Delicti triumphierend in die Höhe.

„Schon der Dritte de Wochen, der was abheben will“, sagte einer der beiden. Und der andere ergänzte: „Asoziales Gsindl.“ Dann schleiften sie Petzenkofler aus der Bank.

Der Bankangestellte atmete tief durch, glättete seine Haare und zog seinen Krawattenknopf gerade. Dann sagte er: „Der Nächste, bitte!“

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Rainer Nikowitz

Kolumnist im Österreich-Ressort