Rainer Nikowitz

Rainer Nikowitz Krisensicher

Krisensicher

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Albert fuhr im Schutz der Gladiolen sein Periskop aus und schaute sich um. Oben schien alles ruhig zu sein. Überhaupt hatte sich die Lage in seinem Schrebergarten in den letzten Tagen etwas stabilisiert. Seit der Weinsteiner Karl, immerhin seit 23 Jahren sein Nachbar im Kleingartenverein Löwenzahn, vor acht Tagen sämtliche Grenzen der guten Nachbarschaft kalt lächelnd negiert und sich an Alberts Radieschen herangemacht hatte, war eine neuerliche Eskalation glücklicherweise ausgeblieben.

Dies mochte möglicherweise auch damit zu tun haben, dass nunmehr alle Welt wusste, dass der Weinsteiner Karl ein künstliches Hüftgelenk gehabt hatte. Weil dieses nämlich im japanischen Fächerahorn von der Brunnthaler Helene gelandet war, nachdem eine der Tretminen, die Albert selbstverständlich zum Schutz seines Gemüsegartens, seines unerlässlichen Vitaminkrisenspeichers also, vergraben hatte, ordnungsgemäß ihren Dienst versehen hatte.

Das war, wie gesagt, schon eine Woche her. Aber Albert war immer noch völlig fertig. Nie im Leben hätte er gedacht, dass der Weinsteiner Karl zu so einer Niedertracht fähig sein könnte. Die Krise brachte eben wirklich die grässlichen Fratzen hinter den früher immer so netten Gesichtern der Mitmenschen hervor. Ja, gut, vielleicht waren manche von ihnen wirklich verzweifelt. Vielleicht hatten manche von ihnen auch Hunger. Aber war es etwa Alberts Schuld, dass so viele nicht vorgesorgt hatten – und er schon?

Er hatte Goldmünzen, kleine vor allem, in insgesamt zwölf Säckchen im Garten vergraben. Er hatte einen eigenen kleinen Dieselgenerator zur Stromversorgung, eine Zisterne, in der er Regenwasser sammelte, Vorräte, mit denen er locker ein halbes Jahr in seinem Keller durchhalten konnte, ein paar Dosen Pfefferspray und einen Elektroschocker für den Nahkampf und eine Schrotflinte mit 500 Patronen für größere Entfernungen.
Also eh nur das absolut Notwendige. Und selbst das waren ihm die Hungerleider da draußen neidig.

„Adlerhorst an Fuchsbau! Adlerhorst an Fuchsbau! Kommen!“, krächzte es aus seinem Funkgerät. Das war der Suchanek. Der zweite Autonome in der Siedlung. „Hier Fuchsbau“, antwortete Albert mit gepresster ­Dirty-Harry-Stimme. „Parole?“ „Unter vielen Fichtenwurzeln hör ich sieben Wichtel furzen!“ Die Parole hatten sie sicherheitshalber vereinbart, damit keiner von ihnen in eine Falle gelockt werden konnte, falls einer ihrer Stützpunkte fallen sollte. „Hähä!“, sagte der ­Albert. „Ich auch!“

Es war schon eine Weile her, dass Albert den Suchanek das letzte Mal leibhaftig gesehen hatte. Vor fünf oder sechs Wochen hatten sie sich einmal im Schutz der Dunkelheit hinter dem Biomüll-Container zum Tauschen getroffen. Der Suchanek hatte sechs Gläser Weichselkompott gebracht und dafür zwei Gaskartuschen für seine Kocher-Lampen-Kombi bekommen.
Und wenn sie vorher gewusst hätten, dass der alte Haubenmeisinger neuerdings in dem Container schlief, wären sie auch nicht so haltlos erschrocken, als der auf einmal rauskam.

Suchanek hatte seither immer wieder einmal damit gehadert, dass er den Haubenmeisinger mit seinem Survival-Knife gleich so blöd erwischt hatte. Aber Albert hatte ihn immer damit getröstet, dass es halt ein Unfall gewesen sei und ihm der Haubenmeisinger eigentlich sogar dankbar sein sollte, weil der Alte sicher viel mehr gelitten hätte, wenn er stattdessen langsam verhungert wäre.

„Was gibt’s Neues bei dir?“, fragte Suchanek. „Ach. Nix. Nur meine Wasserentkeimungstabletten werden langsam knapp“, anwortete Albert.
„Ich hab noch genug. Hast du Zucker? Tauschen wir?“ Albert runzelte die Stirn. Er wollte schon. Aber das würde bedeuten, dass er seinen Keller verlassen musste. „Ich weiß nicht …“, sagte er unschlüssig.

Suchanek spürte, dass sein Kampfgefährte Angst hatte. „Du, im Radio haben sie heute gesagt, dass der Euro wieder bei 1,24 steht. Und der Dow Jones ist auch wieder über 10.000!“ „Pffft!“, machte Albert. „Pure Propaganda. Die wollen uns doch alle nur für blöd verkaufen. Als Nächstes erzählen sie uns, dass da draußen gar kein Bürgerkrieg ist.“

Der Suchanek musste zugeben, dass er mit diesem Gedanken auch schon gespielt hatte. Natürlich wusste er, dass die Medien alle gesteuert waren und nicht die Wahrheit berichteten. Dass es die Aschewolke von diesem ­isländischen Vulkan nie gegeben hatte, weil man mit ihrer Erfindung lediglich verhindern hatte wollen, dass sich die Leute mit ihrem Geld ins Ausland absetzten, dass die Währungsreform und der dazugehörige Einzug aller Sparguthaben schon längst beschlossene Sache waren und und und.
Aber dass sie so gar kein Wort über Kampfhandlungen und so sagten?
„Du, Albert? Wie werden wir es denn eigentlich erfahren, wenn da oben wieder alles in Ordnung ist?“

Darüber hätte der Albert durchaus den einen oder anderen Gedanken verlieren können. Aber er musste das auf später verschieben. Denn durch sein Periskop sah er, wie sich zwischen seinen Himbeersträuchern etwas bewegte.

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Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz

Kolumnist im Österreich-Ressort