Rainer Nikowitz

Rainer Nikowitz Lady Gaga

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Ursula Stenzel seufzte so tief, dass der geschmackvolle Kristallluster über ihrem Kopf sanft klirrte. Vor ihr auf dem Schreibtisch lag der Plan mit ihrer jüngsten Idee für die City. Bahnbrechend, visionär – einfach Uschi eben. Und doch ahnte die Bezirksvorsteherin, dass auch diese Idee nicht nur für die kommunistische Stadtregierung wieder einmal mit zu viel Klugheit und Weitblick behaftet sein würde – sondern auch für die ÖVP. Denn leider, leider war Uschis Niveau halt in einer Höhe angesiedelt, auf dem sich nicht einmal ihre eigene Partei um sie scharen wollte.

Das war politisch natürlich in höchstem Maße unklug. Denn immerhin war Uschi eine der erfolgreichsten Vertreterinnen ihrer Partei. Hatten ihr etwa bei ihrem letzten strahlenden Erfolg bei der Bezirksvertretungswahl nicht gleich 3254 Wähler das Vertrauen geschenkt? Welcher andere Spitzenpolitiker in Österreich konnte denn bitte sonst noch auf eine solch horrende Zahl haltlos begeisterter Kreuzlmacher verweisen?

Missmutig zog Stenzel den Knoten ihres seidenen Halstuches ein wenig enger und nahm das Papier vor ihr zum wahrscheinlich tausendsten Mal an diesem Tag in die Hand. Herrgott noch einmal, war das ein hinreißendes Dokument! Es war eine auf den ersten Blick ganz gewöhnliche Karte der inneren Wiener Bezirke. Also des ersten und der, die es rundherum nun einmal auch geben musste. Aber wenn man genauer hinsah, war etwas anders: Der Ring war nämlich blau eingefärbt – ein Burggraben rund um den ersten Bezirk! Natürlich steuergeldschonend mit dem geringst möglichen Aufwand hergestellt. Also vielleicht acht oder zehn Meter breit. Und gerade so tief, dass man nicht durchwaten konnte. Und natürlich mit gerade so vielen Krokodilen renaturiert, dass man nicht durchschwimmen wollte. Der perfekte Schutz gegen die Invasion von Proleten, diese schmutzstarrende, stinkende menschliche Mure, die sich tagtäglich über die City ergoss! Nur eine einzige Brücke war vorgesehen, gegenüber dem Parlament, denn da mussten ja die Minister doch öfter drüber. Schwer bewacht, mit eisern kontrollierter Visumpflicht, Stacheldraht und Selbstschussanlagen: der Checkpoint Uschi!

Gut, das mit den U-Bahnen auf dem Stephansplatz musste dann auch noch geklärt werden, aber ein katastrophaler Wassereinbruch oder auch zwei und es würde sowieso niemand mehr diesen Rififi-Grenzübertritt wagen. Hach, wäre das schön!

Aber, wie gesagt: Die Welt war nun einmal keine perfekte – also leider voll mit Menschen, die nicht Ursula Stenzel waren. Und die würden für diesen herrlichen Plan einfach zu weich, zu dämlich, mit einem Wort: zu liberal sein.

Denn genau das war ja das größte Problem der ÖVP: dieser schrankenlose Liberalismus, den die Partei aus praktisch jeder Pore ausdünstete. Dass das außer ihr keinem auffiel, war wieder einmal typisch. Wenn die ÖVP nicht in nahezu allen gesellschaftspolitischen Belangen so entsetzlich liberal wäre, dann würde sogar einer wie Michael Spindelegger problemlos Kanzler werden. Ja, es gab nun einmal Homosexuelle. Und nein, natürlich sollte man sie nicht alle in ein Reservat in der Dachstein-Rieseneishöhle sperren. Die brauchte man schließlich noch für den Tourismus. Aber man musste diese Leute wirklich nicht auch noch sich wild in der Gegend herumverpartnern lassen. Stattdessen wäre es gescheiter gewesen, eine verpflichtende Behandlung mit Brom anzudenken, damit die widernatürlichen Triebe wenigstens ein bisschen gedämpft würden. Andere Krankheiten waren schließlich auch melde- und behandlungspflichtig. Aber hörte man diesbezüglich auf die Grande Dame der ÖVP? Weit gefehlt.

Oder die Drogenpolitik, da ging es ja auch drunter und drüber. Gut, beim Alkohol, da war die Uschi persönlich nicht so. Sofern er nicht öffentlich getrunken wurde. Aber Alkohol war ja schließlich auch keine Droge. Dafür musste man diesen Haschischspritzern glasklar machen, dass sie das einfach nicht durften. Und sei es mit einem taktisch klug eingesetzten Besenstiel im Gefängnis.

Oder die Ausländer – mein Gott, was war die ÖVP da erst grässlich liberal! Jetzt durfte ja sogar schon ein Muslim an wählbarer Stelle für den Nationalrat kandidieren. Wie war noch einmal sein Name … Hadschi Halef Omar, ja genau. Was sagte denn da eigentlich der Bauernbund dazu, dass der keinen Schweinsbraten aß? Und was bitte sollte das der ÖVP überhaupt bringen? Stimmen von aufgeklärten, städtischen Bürgerlichen, denen die Grünen zu links waren? Uschi lachte bitter. Sie lebte ihr Leben lang in der größten Stadt von allen – und in ihrem Bekanntenkreis gab es keinen einzigen aufgeklärten Bürgerlichen. Was sollte das denn bitte sein? Es gab ja auch keinen schwarzen Schimmel.

Außer vielleicht in den Ecken von Gemeindebauwohnungen in Simmering. Aber Uschi konnte sich nicht auch noch um sozialdemokratische Elendsquartiere kümmern. Sie hatte ja auch so schon alle Hände voll zu tun.

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Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz

Kolumnist im Österreich-Ressort