Rainer Nikowitz: Leerstunde

Beim Akademikerball hatten heuer nicht alle eine rechte Freud’ – zu drastisch waren die Folgen der jüngsten Liederbuch-Affäre.

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So sehr hatte sich Baldur, der beizeiten brünftige Brune, auf den bummvollen Ball der begeisternden Burschen gefreut. Nach rechter Rede mit hechelnden Herren und formlosem Flachsen unter bulligen Brüdern stand ihm der sorglose Sinn. Durchaus auch nach baldiger Balz, bebende Busen unter blasiertem Blond behende begrapschend.

Allein, es lag ein schmerzender Schatten über der versierten Versammlung fazial versehrter Vandalen, olfaktorisch origineller Olympen und grottig grienender Goten. Der ulkige Udo vom lahmen Land unter der ewigen Enns war’s, der bleiern beschwerte die heiteren Herzen.

„Fragt ihr mich forsch, oh kantige Kumpel im gestrigen Geiste“, sprach Siegfried, der sabbernde Sachse, „was ich halte von unserem Udo, so sag ich euch gleich, das hätt’s nicht geben im Reich. Ein pärtiger Perser als Gernmöcht-Germane? Genanter Gedanke! Ist doch der Perser per se ein Perverser!“

„Tröste dich, du tapferer teurer Teutone“, gab sich Baldur vorbildlich verbindlich: „Das ist nur teilweise tragisch – die Perser sind doch antiquarisch arisch.“

Auch sei es nicht des unsteten Udos schwärende Schuld, gab Baldur betrübt zu bedenken, dass der nach dreckiger Demokratie miefende Mob der lästig labernden Linken das liebreizend lustige Liederbuch in seine hässlich hornigen Hände bekommen habe.

„Nein, natürlich nicht“, nickte Norbert, der narbige Nibelunge. „Und auch die seligen Sänger der glorreich geilen Germania sind jetzt nicht das pöhse Problem. Was sonst sollen sie sein, als was wer will längst weiß? Wären Sie’s nicht, wir würden dran würgen. Allein: Was Hazeh, der Bazi, jetzt bald in ruinöser Rede reumütig raunen wird – das macht mir sengende Sorgen!“

Der sehnige Siegfried senkte den scharfen Scheitel auf seinem schartigen Schädel, der seit der Sepsis durch den Säbel Seppis so sexy selbst ist, wie Selmaundlouise – der Setter von … Denise. „Um Wotans wütenden Willen! Wovon sprichst du, oh närrischer Norbert? Ich bin’s ja gewöhnt von olympischen Olmen, dass sie manchmal murmeln Makabres. Auch grunzen Germanen nach vergorener Gerste gern grölend ganz gruseligen Gatsch! Doch du, oh nüchterner Nibelung – niemals!“ Auch Baldur wurd bang in der Brust. Er unkte: „Unternimmt er unter Umständen wieder undeutsche Umtriebe? Uh! Ur-arg!“

„Fürwahr“, näselte Norbert nachdenklich. „Unser fanatischer Führer, seit den wildesten Wehrsportlagern wahrlich einer der wunderbarsten Widerborste, scheint vom zornigen Zerrbild des Zeitgeistes zermürbt. Und wir werden wohl wehklagend den wallenden Wassern willfähriger Weltverbesserer weichen müssen.“

Da flog die Tür tosend auf und ein strahlender Strache schritt stechend durch die rasenden Reihen.

Baldur blickte, bald blunzenfett, ins räudige Rund. Hier aßen geriatrische Germanen Germknödel, dort wankten witzige Waffenstudenten zum Walzer. Säbel schepperten schamlos salopp, Schärpen scharwenzelten, Sekretäre sekretierten. Die ewige Elite ergötzte sich an ihrem strahlenden Selbst. Es war, wie es immer gewesen war. Wie es sein sollte. Weichen? Wohin? Und vor allem: Warum?

Da flog die Tür tosend auf und ein strahlender Strache schritt stechend durch die rasenden Reihen. Er bestellte drei blubbernde Biere und hob an, zu den hinichen Hünen seines herrlichen Heeres zu sprechen: „Die Verantwortung und das Gedenken an die Opfer des Holocaust sind uns Verpflichtung und Verantwortung in der Gegenwart und für kommende Generationen. Wer das anders sieht, soll aufstehen und gehen. Antisemiten sind bei uns nicht erwünscht!“

Starre Stille senkte sich über den schockierten Saal. Hatte der zotige Zahntechniker das wirklich gerade gesagt? Kam ihm das tatsächlich so leicht von den lüsternen Lippen, als wäre es nicht mehr als eine armselige Anmache in einer Idiotendisco in Ibiza?

Baldur blinzelte. Siegfried seufzte. Und Norbert nölte: „Treuloser Traumtänzer! Unermessliches Unrecht! Züngelnder Zorn!“

Siegfried sah schon ein stürmisches Standgericht starten: „Wollen wir dem Weichei wieder den Weg in den Wartesaal vor Walhalla weisen?“

Doch es war Baldur, der brach den Bann. Er erhob sich entrückt, brachte sein Biertönnchen behäbig bergan und strebte dann stur aus dem schweigenden Saal. Dann stand still auf Bruder um Bruder, enttäuscht und entehrt, und ging grollend seiner wunderlichen Wege. Ein Zug der Zerrütteten, heimatlos, heillos, ihr heißes Herz los.

HC witterte die widrige Wunde, von seinen Worten geschlagen. Und versuchte verzweifelt zu retten das fröhliche Fest: „Freunde! Jetzt wartet! Seit wann nehmt ihr mich ernst, wenn ich mich von irgendwas distanziere? Ich muss das ja sagen! Es gilt, was immer schon galt: Das ist doch nur für die Deppen da draußen! Zwischen uns ist doch alles klar: Linker Meinungsterror! Fake News! Jagdgesellschaft! Wir lassen uns ‚Oh Tannenbaum‘ nicht verbieten! Und außerdem: Ich habe doch eh gezwinkert!“

Doch der Saal lag verlassen. Und leer. Jetzt gab’s keine FPÖ mehr.

Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz

Kolumnist im Österreich-Ressort