Rainer Nikowitz: New Deal

Nach Christian Kerns Charme­offensive könnte die FPÖ bald ver­wirrend viele Koalitionsoptionen haben.

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Der Bundespräsidentschaftswahlkampf hat vergangene Woche gleich zwei potenziell entscheidende Wendungen erfahren – die einander in ihrer Wirkung allerdings möglicherweise erst recht wieder aufheben. Zum einen erklärte ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka, ein Liebling der Massen in ganz Vorau und engerer Umgebung, seine Stimme gehöre Norbert Hofer. Von einem solchen Sympathieträger-Tiefschlag knapp eine Woche vor der Wahl könnte sich normalerweise selbst ein mensurgestählter Säbelrassler wie unser Gerwald der Treuherzige kaum rechtzeitig erholen – nicht einmal mit Gottes Hilfe.

Anders liegt der Fall aber vielleicht, wenn Hilfe aus einer Ecke kommt, aus der zu diesem Zeitpunkt nicht unbedingt zu rechnen war. Es erwies sich nämlich zur weitgehend allgemeinen Verwunderung, dass Christian Kerns ORF-Streitgespräch mit HC Strache von einem Streitgespräch ungefähr so weit weg war, wie das Team Stronach von einem Einser vor dem Komma. Da wurde die „gute Kinderstube“ des bekannt zurückhaltenden blauen Zampanos gelobt wie auch sein stets aufrichtiges Bemühen, „das Land voranzubringen“. Und so ganz nebenbei entsorgte der vorgeblich linkeste SPÖ-Chef seit Alfred Gusenbauers libidinöser Moskauer Flughafenasphaltphase qua hartnäckiger Antwortverweigerung mehr oder minder auch gleich die Vranitzky-Doktrin, derzufolge eine rot-blaue Koalition niemals infrage komme. Und dies unter, je nach Flügel, eindeutiger Zustimmung bis freundlicher Duldung seiner Partei.

Somit können die Grünen also noch lauter auf ein weiteres wirkliches Alleinstellungsmerkmal pochen – neben dem des schlafwandlerisch sicheren Aufspürens von Straßenfeger-Themen, die jetzt aber gerade so was von unter den Nägeln brennen: „Nur wir verhindern eine blaue Regierungsbeteiligung!“ Und nachdem es sich bei den Grünen nun einmal um die Grünen handelt, ist nicht einmal mit letzter Sicherheit auszuschließen, dass sie das tatsächlich glauben.

In der SPÖ scheint sich hingegen als Mehrheitsmeinung durchzusetzen, dass der Schurl aus dem Sandleitenhof, auf den immer Verlass war, bis er die Wahlwerber aus der Sektion, die ihm den Schlüsselanhänger und das Feuerzeug vorbeibringen wollten, plötzlich statt mit dem an sich verpflichtenden „Freundschaft!“ mit einem herzhaften „Schleicht’s eich!“ begrüßte, zwar ein von Michael Häupl höchstselbst als solcher identifizierter mieselsüchtiger Grantler sein mag – aber eben immer noch der Schurl. Und vor allem: dass neue Schurls nicht auf den Bäumen wachsen.

Schon beim amikalen Streitgespräch war zu spüren, dass Strache von einer leicht ratlosen Beißhemmung befallen wurde.

Und angesichts der in Bälde unvermeidlichen Nationalratswahl wird das bisherige rote Synchronschwimmen im wohltemperierten Whirlpool, bei dem stets ängstlich auf die hoffentlich gnädigen Haltungsnoten der strengen, feinen, aber eben auch recht kleinen Jury geschielt wurde, langsam aber sicher zur Einzelsportart. Der Großteil des Teams scheint sich jetzt doch lieber in den in deutlicher Entfernung vorbeirinnenden, olfaktorisch vielleicht nicht ganz Karmelitermarkt-tauglichen Fluss zu werfen, um dort hurtig den davonschwimmenden Fellen nachzukraulen – weil die jetzt doch schon einen ziemlichen Vorsprung haben.

Möglicherweise wurde ja Christian Kern missverstanden, als er von seinem New Deal sprach. Vielleicht war der von Anfang an nicht nur wirtschaftspolitisch gedacht, sondern viel weiter gefasst. Weiß eigentlich noch jemand, warum Werner Faymann vor noch nicht einmal sieben Monaten vom Rathausplatz gepfiffen wurde? Alles kein Thema mehr. Obergrenze, Notverordnung, Wartezeit für die Mindestsicherung, Kürzung der Familienbeihilfe für im Ausland lebende Kinder – ein No-Go nach dem anderen wird zum Trampelpfad, auf dem sich eigentlich ursprünglich Sebastian Kurz alleine auf den mit ausgebreiteten Armen vor dem Kanzleramt wartenden HC Strache zuzubewegen gedachte.

Schaden wird das Kern innerparteilich auf keinen Fall, der Job des letzten Strohhalms bringt praktischerweise eine gewisse Unantastbarkeit mit sich. Und die Parteilinke kann sich ja immerhin damit trösten, dass sich einst sogar schon Bruno Kreisky mit Friedrich Peter auf ein gewinnbringendes Packl gehaut hat. Und alles, was der Godfather jemals getan oder gesagt hat, wird schließlich im roten Reliquienschrein unter dem Banner „Heilig!“ aufbewahrt. Also irgendwie auch die Allianz mit einem FPÖ-Obmann, der sich in seiner Jugend gar nicht erst lange mit Paintball-Trockentraining aufgehalten, sondern sich lieber gleich unter SS-Wettkampfbedingungen dem gründlichen deutschen Aufräumen hinter der Ostfront gewidmet hatte.

Und wer weiß: Vielleicht stürzt diese neue Situation ja jetzt die FPÖ in heillose Verwirrung. Schon beim amikalen Streitgespräch war zu spüren, dass Strache von einer leicht ratlosen Beißhemmung befallen wurde. Fehlte nur noch, dass sich Herbert Kickl, wenn er sich demnächst wieder in seine Plakat-Dichterstube zurückzieht, plötzlich auf nichts mehr einen Reim machen kann. Nicht einmal auf „Ausgrenzung“.

Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz

Kolumnist im Österreich-Ressort