Rainer Nikowitz

Rainer Nikowitz Reichstum

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Der entscheidende Moment war gekommen. Martin sah noch einmal jeden in der Runde entschlossen an. „Wer ist dafür?“, fragte er zackig. Nothold holte tief Luft. Dann hob er die Hand.

Wenn der Vorstand tagte, war das selbst in ihrem weiß Gott betriebsamen Haus immer etwas Besonderes. Und ­heute wollten sie schließlich die mittelfristige strategische Ausrichtung festlegen. Nothold hatte den Atem der Unternehmensgeschichte schon beim Portal, das sich diskret, wie es in ihrer Branche nun einmal unumgänglich war, zwischen die Auslage einer Secondhand-Romantauschbörse und eine Automatenspelunke mit abgeklebten Scheiben schmiegte, gespürt. Die anderen neckten ihn mitunter und hießen ihn weibisch, weil Nothold oft so ein Gefühl im Bauch hatte, wenn sich Großes ankündigte. Aber die groben Kerle waren ja bloß neidisch.

„Reichstum – die Vermögensverwaltung mit Schnitt!“, stand auf der Tür. Und darunter, weil Hartleib die Entscheidungsmensur gegen Geilbert, dem der Zusatz etwas zu lang erschienen war, mit 683 Milliliter Blut zu enttäuschenden 467 gewonnen hatte: „Die Top-Adresse im Geldbusiness, wo modernste Finanztechnik wie ein schwarz-rot-goldener Rechenschieber oder aber auch Google und schlecht verheiltes ­Gesichtsnarbengewebe eine fruchtbare Beziehung eingehen!“ Hartleib war manchmal ein wenig ausufernd. Aber er konnte verdammt gut fechten.

Geilbert hatte die Niederlage leider nicht so leicht wegstecken können und in einem Meeting unlängst die nicht völlig zufriedenstellende Kundenfrequenz der vergangenen drei Monate diesem nicht nur langen, sondern auch, wie er monierte, „echt beschissenen“ Text zugeschrieben. Tatsächlich hatte die Statistikabteilung rund um Einfald nach hektischen Berechnungen für diesen Zeitraum einen Abfall von 100 Prozentpunkten bemerkt. Aber das lag, wie Hartleib schließlich überzeugend darlegen konnte, einzig und allein daran, dass dem Obdachlosen, der sich den ganzen Winter mit ihren Anlagetipps gewärmt hatte, ein Platz in einem vielversprechenden Entzugsprogramm vermittelt worden war.
Es hatte aber ja auch keiner erwartet, dass sie bei ihrem Versuch, in der Finanzbranche einen Brückenkopf zu errichten, auf Rosen gebettet sein würden. So gestaltete es sich etwa leider weitaus schwieriger, den RR-Fonds so richtig ins Laufen zu bringen, als gedacht. RR. Hartleib liebte diese Doppelkürzel. BB, MM. Und erst DD. Oder SS! „Kennt er alle wie aus dem Effeff“, pflegte Dankwart immer zu flachsen. RR war die Chiffre für „der Rassenreine“. Den griffigen Kampfnamen für diesen Fonds für ethnisch korrektes Investieren hatte sich Hartleib ausgedacht, um dem Investor, der sein Kapital nicht blindlings irgendwelchen Promenadenmischungen anvertrauen wollte, einen weithin über die Marktbrandung ­hinausragenden Flakturm zu bieten.

Doch der Fallstricke waren viele. Erst unlängst waren sie durch einen unglaublichen Zufall – jemand hatte in der U-Bahn eine Zeitung liegen gelassen, die Martin noch nie zuvor gesehen hatte – darauf gekommen, dass zum Beispiel Opel gar nicht mehr wirklich deutsch war! Das musste einem doch einer sagen! Und von diversen anderen Irrtümern wie zum Beispiel diesem einen Investment in Kugellager, die sie sich alle vollkommen anders vorgestellt hatten, gar nicht zu reden.
Aber: Man konnte doch ein Geschäft, in dem es doch schließlich gerade auf deutsche Werte wie Ehrlichkeit, Handschlagqualität und Verschwiegenheit ankam, nicht weiterhin einfach in den geifernden Klauen derjenigen belassen, die es schon seit Jahrhunderten zum Schaden ihrer jeweiligen Wirtsvölker betrieben.

Die RR-Performance von minus 78,7 Prozent innert der vergangenen drei Jahre war ja zum Glück nur ein temporäres Problem, das den tausendjährig, also doch eher langfristig orientierten Kunden nicht weiter ängstigen musste. In dem vom System so übel zugerichteten globalen Umfeld hatte es eben auch ein an sich autochthones Nischenprodukt schwer. Zum Glück hatte Hartleib mit seinem untrüglichen Näschen für Markttendenzen rechtzeitig auf Kriegsanleihen, Konservendosen und Alufolie mit Goldüberzug umgeschichtet. Also würde es bald wieder aufwärtsgehen.

Dennoch war Nothold nicht rückhaltlos wohl, als Martin mit ernster Stimme berichtete, dass nicht nur die Laufkundschaft, sondern überhaupt ihr gesamter Altkundenstock die Geschäftsbeziehung beendet hatte. Doch in die aufkeimende Betretenheit hinein verkündete Martin mit vibrierender Stimme: „Aber, Freunde: Ich habe schon eine neue Alte!“
Endlich habe es sich ausgezahlt, dass er sich nach Einbruch der Dunkelheit immer so lang bei den Altglascontainern herumdrücke. Denn irgendwann habe ja eine Omi kommen müssen, die von der Frage „Bunt oder weiß?“ haltlos überfordert war!

Ja, und dann … Dann stellte Martin feierlich den Antrag, die Geschäftstätigkeit weiterhin zur Gänze auf die Übervorteilung alter Damen zu konzentrieren.

Und wie jedes Jahr wurde er einstimmig angenommen. ■

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Rainer Nikowitz

Kolumnist im Österreich-Ressort