Rainer Nikowitz: Sanktionen 2.0

Hans Niessl hatte natürlich mit Widerstand gerechnet. Aber dass er gleich so geharnischt ausfallen würde!

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Tag 16 der Koalition der Schande in Eisenstadt – und die Proteste gegen diesen Dammbruch haben in ihrer Schärfe und Entschlossenheit kein Jota nachgelassen. Ja, man muss sogar konstatieren: Im Gegenteil! Anfänglich hatte man mitunter noch das Gefühl, dass in der SPÖ die etwas verwirrende Ausgangsposition, im Gegensatz zum Widerstand gegen Schwarz-Blau im Jahr 2000 diesmal gegen sich selbst protestieren zu müssen, zu leichten Unsicherheiten führte – aber davon ist mittlerweile nichts mehr zu spüren. Da macht sich eben dann doch auch die anti­faschistische Routine bemerkbar.

Werner Faymann bestätigte auch heute wieder auf Nachfrage, dass er immer noch SPÖ-Bundesparteiobmann sei und auch weiterhin die Ansicht Niessls teile, die Richtungsentscheidung, ob die SPÖ mit der FPÖ koalieren solle, sei quasi die Privatangelegenheit des Obmanns einer 80.000-Wähler-Landesgruppe. Dies ändere jedoch nichts an der Eindeutigkeit seiner Meinung in dieser Frage, fügte Faymann an. Und er habe diese Niessl auch unmissverständlich dadurch zur Kenntnis gebracht, dass er nunmehr schon den vierten Tag hintereinander nicht mit ihm telefoniert habe.

Andere reagierten heute sogar noch schärfer als der unbeugsame Kanzler. So reihten sich die Naturfreunde in die Reihe jener ein, die versuchen wollen, das Burgenland mit Wirtschaftssanktionen wieder zur Vernunft zu bringen: Sie gaben bekannt, die Dächer aller ihrer in den Alpen auf über 1000 Meter Seehöhe gelegenen Schutzhütten ab sofort nicht mehr mit Schilf vom Neusiedler See zu decken. Auf den Einwand, dass dies bisher ohnehin eher selten vorgekommen sein dürfte, entgegnete eine Sprecherin, dass schon die theoretische Möglichkeit für viele Naturfreunde-Mitglieder unerträglich gewesen und man sehr froh sei, mit dem Schließen dieses Schlupflochs dem Faschismus eine weitere Lebensader abgeschnitten zu haben.

Dass das Kulturministerium heute bekanntgab, den Operettensommer auf der Seebühne Mörbisch nunmehr mittels einer großzügigen Subvention für viele weitere Jahre abgesichert zu haben, mag angesichts dieser harten Bandage nur als kleiner Nadelstich gesehen werden. Aber auch das ist wichtig, diese atmosphärischen Kleinigkeiten, diese Hinweise darauf, wie viel einem der andere wert ist und was man ihm alles zumutet. Man darf auch gespannt sein, wie sich die unappetitliche Affäre auf die Airplay-Zeiten von Haydn, Liszt und dem Tamburizza-Orchester Klingenbach auf Ö1 auswirken wird.

Entsetzte vinophile Prominente schütteten ihre diversen Heideböden und Goldberge in den Kanal.

Wiens wahlkämpfender Bürgermeister Michael Häupl, der heute einmal mehr betonte, mit ihm sei so eine Sauerei wie im Burgenland sicher nicht zu machen und er sei der Einzige, der Wien vor der SPÖ retten könne, bildete heute den krönenden Schlussakt einer an grimmiger Entschlossenheit kaum mehr zu überbietenden Protestaktion am Karmelitermarkt. Dabei schütteten von den burgenländischen Geschehnissen entsetzte vinophile Prominente ihre diversen Heideböden und Goldberge in den Kanal – manche mit Tränen in den Augen. Häupl steuerte eine 2005er-Doppelmagnum Cabernet Sauvignon aus Frauenkirchen bei – sinnigerweise also aus dem Heimatort von Hans Niessl und dem Jahr, in dem er Landeshauptmann wurde. Welch starke Symbolik!

Niessl bezeichnete diese Aktion umgehend als „barbarische Zerstörung burgenländischen Kulturguts durch eine völlig abgehobene links-linke Bobo-Schickeria“ und forderte seine Landsleute angesichts des internationalen, bis nach Wien reichenden Blaufränkisch-Boykotts auf, ­selber mehr zu saufen. Und er scheute sich nicht, einen nationalen Schulterschluss einzumahnen: „Sie müssen das so sehen: Auch und gerade, wenn Sie als Burgenländer mit dieser Koalition vielleicht nicht einverstanden sind, ist jetzt sicher nicht der Moment, nüchtern zu bleiben!“

In diese ohnehin schon aufgeheizte Stimmung hinein platzte am Nachmittag die Meldung, dass es vor dem Büro des burgenländischen Tourismusverbandes in Wien zu ­einer tätlichen Auseinandersetzung gekommen ist. Als eine aufgeregte Aktivistin Parolen skandierte, in denen insinuiert wurde, der Neusiedler See trockne im Sommer nur deshalb nicht aus, weil jedes Wochenende hunderttausend Wiener in ihn hineinpischten, wurde sie von einer erbosten Burgenländerin mit einem aus dem benachbarten Würstlstand entwendeten Perlzwiebeldreizack ins Auge gestochen. Am Abend fand am Ort des Übergriffs eine Mahnwache statt. Die Stimmung war gedrückt.

Und schließlich stellt sich die Frage, welche Auswirkungen das alles noch auf jene Burgenländer haben wird, die sich außerhalb der jetzt zum Glück noch sicherer werdenden Landesgrenzen bewegen. Es gibt schon erste Berichte über Taxifahrer, die ihre Fahrgäste beim ersten Hinweis auf einen Dialekt, der mindestens so breit ist wie die ­Wulka, aus dem Wagen werfen. Ähnliches passierte vor 15 Jahren mitunter österreichischen Touristen in Paris oder Amsterdam. Wir gehen unruhigen Zeiten entgegen.

Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz

Kolumnist im Österreich-Ressort