Rainer Nikowitz

Rainer Nikowitz Scheine auf Schiene

Scheine auf Schiene

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Der Portier war es gewohnt, lästige Kundschaft bestimmt, aber unfreundlich anrennen zu lassen. „Nein“, sagte er und ließ dieses Timbre der Letztgültigkeit, dessentwegen ihn sein Arbeitgeber ja damals von der Beschwerdestelle der Gebietskrankenkassa abgeworben hatte, noch ein wenig nachschwingen. Selbst minder sensible Zeitgenossen wussten an diesem Punkt für gewöhnlich, dass der Fall vollkommen hoffnungslos war und sie niemals an dem Portier vorbei ins Allerheiligste kämen. Und dann trollten sie sich. Der hier nicht.

„Hören Sie“, sagte der Mann mit einer Stimme, die den Portier an ein kleines Lämmchen erinnerte, das im hohen Steppengras ängstlich nach seiner Mutter rief, „jetzt glauben Sie mir doch! Die Geschichte ist wirklich gut! Ich würde niemals einfach hier auftauchen und Ihrem Chef die Zeit stehlen. Sie kennen mich doch!“

Der Portier überlegte, so scharf es ihm möglich war. Ein Gesicht von der Stange mit ­einer Frisur, mit der man in ­einer gerechten Welt die Lehrlingsausbildung nicht positiv abschließen würde, und einem Anzug, in dem so mancher andere auch nicht besser ausgesehen hätte. Dann sagte der Portier: „Nein.“

Der andere Mann stöhnte wie ein Lämmchen, das seine Mutter zwar endlich im hohen Steppengras gefunden hatte, aber leider feststellen musste, dass der böse Wolf mit dem Mittagessen noch nicht fertig war. „Doch, natürlich kennen Sie mich“, insistierte er. „Schauen Sie einmal.“

Er drehte sich nach links und blickte den Portier herausfordernd aus dem Augenwinkel an. Der Portier schüttelte den Kopf. Also drehte sich der Mann schwungvoll nach rechts, um sein anderes Profil zu präsentieren. Nichts. Als letzte Maßnahme stützte er schließlich seinen Arm auf das Pult des Portiers und legte sein Kinn auf die hochgereckte Faust, genau so, wie es die ganz besonders nachdenklichen unter den Zeitungskommentatoren auf ihren Fotos immer machten. „Na? Klingelt es immer noch nicht?“

Jetzt begann sich der Portier zu erinnern. Ja, doch. Von irgendwoher kannte er dieses Gesicht tatsächlich. „Sind Sie nicht der …, der …“, er legte die Stirn in Falten, „sind Sie nicht der Schwager vom Sveticek Hans? Der mit dem Würschtlstand pleitegegangen ist, weil er’s mit dem Rechnen nicht so gehabt hat?“

Die Schultern des Mannes sackten nach unten. „Nein, ich bin nicht der Schwager vom Sveticek Hans“, sagte er schwach. „Und ich rechne voll gut. Sagt die Laura.“ Resignierend drehte er sich um und strebte dem Ausgang zu. Plötzlich rief der Portier: „Ich hab’s! Sind Sie nicht der aus dieser Serie?“ Der Mann wirbelte herum. Seine Gesichtszüge hellten sich schlagartig auf, und er nickte wie ein Hutablagenhund. „Ja! Der Hauptdarsteller!“

Tatsächlich! Er war es wirklich. Der Portier fühlte, wie sich sein Mund in die Wüste Gobi verwandelte. Das passierte ihm immer, wenn er nervös war. Wenn er so auf die Schnelle nachdachte, war er wahrscheinlich in seinem Leben nur einmal noch aufgeregter gewesen: als er sich in der Lugner City ein Autogramm von David Hasselhoff geholt hatte. Lustigerweise war David damals genauso aufgeregt gewesen und hatte sich deshalb gleich nach der Unterschrift übergeben. Das war schon sehr beeindruckend gewesen. Aber das hier jetzt, das war ja bitte auch nicht schlecht. Wann hatte man schon die Gelegenheit, neben dem Star aus „Der direkte Draht zum Wohnbaustadtrat“ zu stehen?

„Mein Gott, das ist mir jetzt aber peinlich!“, stotterte der Portier. „Dass ich Sie nicht gleich erkannt habe! Wie geht es Ihnen denn, was machen Sie immer so?“

„Ach“, sagte der andere erleichtert, „man gfrettet sich so durch. Ich bin jetzt Infrastrukturminister.“ „Aha.“

Diese Information hatte nicht ganz die erwartete Wirkung gezeigt. Also sah sich der Minister gezwungen nachzulegen. „Wissen Sie, und jetzt suche ich halt nach einer Möglichkeit, wie ich meine 13-jährige Erfahrung als Wiener Wohnbaustadtrat in diese Tätigkeit einbringen könnte.“
„Ja.“
„Weil, es wär wegen der ÖBB. Die haben soooo ein schlechtes Image. Und da hab ich mir gedacht, wir verbessern dieses Image, indem wir vielleicht eine Serie machen, in der sich die Leute fest über die ÖBB beklagen. Bei mir.“

Der Portier schüttelte den Kopf. „Es tut mir sehr leid“, sagte er betrübt, „aber der Chef hat gesagt, wenn einer mit einem faden Topfen daherkommt, darf ich ihn auf keinen Fall durchlassen.“

Der Infrastrukturminister sah ihn fassungslos an. Der Kerl war doch nun wirklich zu dämlich für alles. „Be-zahlt!“, sagte er dann eindringlich, jede Silbe extra betonend. „Von den ÖBB! Ha-llo?“

Erschrocken wies der Portier in Richtung des Lifts. „Ach so! Was sagen Sie das denn nicht gleich!“

Er sah der kleinen Gestalt nach, die sich zielstrebig auf den Weg nach oben machte. „Irgendwann“, dachte der Portier dann so bei sich, „irgendwann wird der Kerl vielleicht noch Bundeskanzler.“

Anschließend lachte er sich leise selber aus und verwarf diesen absurden Gedanken ganz schnell wieder.

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Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz

Kolumnist im Österreich-Ressort