Satire

Rainer Nikowitz: So sind wir doch

Der Bundespräsidentschaftswahlkampf hat gezeigt, dass Alexander Van der Bellen mit einem seiner bekanntesten Sager falschlag.

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Der nunmehr leider zu Ende gegangene, hoch spannende Wahlkampf für die Bundespräsidentschaftswahl hat zumindest zwei Erkenntnisse gebracht. Zum Ersten war der jahrelange Kampf der Vereinigung der Psychotherapeuten um die Möglichkeit, ihre Dienste auch mittels eines simplen Krankenscheines in Anspruch nehmen zu können, wirklich dringendst notwendig. 


Allerdings zeigte sich gerade in den letzten Wochen anhand einiger mehr oder weniger prominenter Beispiele, dass sich die diesbezüglich erwarteten positiven Effekte immer noch in Grenzen halten. Denn immer noch gibt es Menschen, die die nunmehr vorhandene Chance, ihre gravierenden Probleme unter dem Schutzmantel der ärztlichen Verschwiegenheitspflicht mit einem Profi aufzuarbeiten und im Idealfall zu lösen, nicht nützen. Und stattdessen einen anderen, therapeutisch leider deutlich weniger sinnvollen Weg wählen. 


Zum Beispiel, indem sie 6000 Unterstützungsunterschriften von Leidensgenossen, die wohl größtenteils von denselben Anwandlungen heimgesucht werden wie sie, einsammeln. Und dann ihre Therapie in die staunende Öffentlichkeit verlegen, die alsbald vor lauter Fremdschämen nicht mehr weiß, wohin sie noch wegschauen soll. Ist ja auch nicht so einfach, wenn quasi an jeder Ecke ein verhaltensorigineller Kandidat lauert, der sich zumindest selbst allen Ernstes als für das protokollarisch höchste Amt im Staat prädestiniert erachtet. Dabei wäre schrankenloser Narzissmus an sich gut behandelbar. Ebenso galoppierende Selbstüberschätzung. Sogar das Münchhausen-Syndrom. Und auch chronische Aggression. Simple Blödheit allerdings leider nicht.

Narzissmus wäre an sich behandelbar. Ebenso wie chronische Aggression. Man muss also deshalb nicht unbedingt gleich kandidieren. 

Die zweite Erkenntnis hängt eng mit der ersten zusammen. Denn die Zahl 6000 klingt ja an sich nach gar nicht so wenig. Wenn die Wiener Austria bei einem Heimspiel so viele Zuschauer hat, liegt es zwar in aller Regel nicht an ihr, sondern am Gegner – aber dennoch knallen dann die violetten Sektkorken angesichts dieser am Favoritner Verteilerkreis ungewohnten und quasi unüberschaubaren Menge. Auch wären 6000 Euro für eine Melange im Kaffeehaus wohl als einigermaßen übertrieben zu qualifizieren, zumindest so lange, wie der momentanen Inflation noch kein Hyper- voransteht. 


Aber als Hürde, die es mittels Unterstützungsunterschriften zu überwinden gilt, um danach abwechselnd lautstark zumindest an die Tür der Hofburg und auf die eigene Brust trommeln zu können, scheint sie nach den jüngsten Erfahrungen vorsichtig formuliert doch eher etwas zu gering dimensioniert zu sein. Denn bei den meisten Kandidaten mutierte diese Latte sofort nach ihrem gefeierten quantitativen Überspringen umgehend zur qualitativen Limbo-Stange. How low can you go? Einen derartig großen Haufen von abstrusen „Ideen“, von lüsternen Allmachtsfantasien gepaart mit intellektueller Nichtsatisfaktionsfähigkeit findet man sonst nur in einschlägigen Telegram-Gruppen. Aber nicht unbedingt zur Primetime im Fernsehen. Außer vielleicht auf oe24.tv. Aber wenn der dortige Starkommentator Gerald Grosz mit Sebastian Bohrn-Mena (Warum hat der eigentlich nicht kandidiert? Wäre doch an sich eine logische Ergänzung des herausragenden Angebots gewesen) Argumente auf dem Niveau des trockengefallenen Neusiedler Sees austauscht, schauen ja leider nicht viel mehr Leute zu als jene 6000 Unterstützer, die ihm nunmehr die hoffentlich letzten 15 Minutes of Fame in seiner herausragenden Polit-Karriere ermöglicht haben. 


Man kann sich Grosz natürlich weiterhin in einem Sender anschauen, bei dem die Bezeichnung „TV-Kanal“ durchaus doppelbödig verstanden werden darf,  wenn man das unbedingt will. Man kann auch weiterhin Heini Staudingers Schuhe kaufen, auch wenn die rein äußerlich immer schon eher an die Betonpatschen gemahnten, mit denen Al Capone einst die Konkurrenz versah, ehe er sie zum Erfrischen in den Michigansee schickte. Und bei denen man jetzt zusätzlich vielleicht auch an den einen oder anderen klugen Satz denkt, den man vom Waldviertler Esoterikschuster in letzter Zeit gehört hat. 


Man kann sich auch, wenn man entweder sehr mutig ist oder der Fall ohnehin hoffnungslos, von Michael Brunner oder Tassilo Wallentin vor Gericht vertreten lassen. Man kann sogar Walter Rosenkranz für einen eigentlich eh gemäßigten Vertreter der FPÖ halten, ganz so, als ob es in dieser Partei so etwas tatsächlich gäbe. Hauptsache, ihr Kandidatenstatus hat sich jetzt einmal erledigt und der öffentliche Wortspendenraum wird endlich wieder etwas leerer. Und wir können uns zumindest eine Zeit lang wieder der Illusion hingeben, dass einer der prägnantesten Sätze, die Alexander Van der Bellen jemals gesagt hat, tatsächlich stimmt: „So sind wir nicht!“ 
Allein: Es fehlt zunehmend der Glaube. 

Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz

Kolumnist im Österreich-Ressort