Rainer Nikowitz: Soll und Haben

Die Panama Papers werden zwar eher nichts an der Existenz von Steueroasen ändern - aber wenigstens für die wirklichen Großverbrecher werden die Zeiten immer härter!

Drucken

Schriftgröße

Gensbichler hätte es wissen müssen. Es gab ihn, den Fluch der bösen Tat. Und es gab noch Gerechtigkeit auf der Welt. Das war zwar einerseits irgendwie tröstlich, andererseits aber wieder auch nicht - wenn man nämlich der war, an dem sie geübt wurde. Also Gensbichler. Der ruchlose Gensbichler. Hatte er wirklich geglaubt, er würde damit durchkommen? Völlig ungeschoren bleiben, nach allem, wogegen er sich versündigt hatte? Den guten Geschmack, die gesamtgesellschaftliche Solidarität, ungeschriebene Gesetze unseres Zusammenlebens und, ja: auch geschriebene. Gensbichler war ein Krimineller, daran gab es nichts zu beschönigen. Einer, der nur an den eigenen Vorteil dachte. Und sich nicht scheute, über sämtliche Grenzen zu gehen, um diesen auch zu lukrieren.

Aber jetzt hatten sie ihn ja eh.

Gensbichler hatte seinen Gegner sträflich unterschätzt. Nie hätte er gedacht, dass die einen derartigen Aufwand treiben würden. Aber wahrscheinlich waren sie nach dem ganzen Staub, den diese Panama Papers aufgewirbelt hatten, halt besonders sensibilisiert. Und wild entschlossen, Leuten wie ihm endlich das Handwerk zu legen. Es gab jetzt einfach diese neue "Zero Tolerance“-Haltung Steuerhinterziehern gegenüber. Und die Behörden konnten sich da auch des Rückhalts aus der Bevölkerung sicher sein. Das war wichtig, denn der Kampf, den sie führten, war ja durchaus aufwendig. Man brauchte gute Leute, man brauchte genügend Leute, man brauchte Überwachungstechnologie und jede Menge sonstiges Equipment. Und das kostete eben. Aber dann hatte man halt auch die feinste Ware zur Verfügung - und konnte auch Typen wie Gensbichler endlich zur Strecke bringen.

Sie waren längst in seinem Haus gewesen, seinem Handy, seinem Computer, ein besonders findiger verdeckter Ermittler sogar in seiner Frau

Ihm war ja lange nichts aufgefallen. Erst, als er an einem Morgen das Haus verließ und es ihm plötzlich schien, als würden ihm die Sonnenblumen nachschauen, also nicht nur irgendwie metaphorisch, sondern ganz konkret und handfest, mit Köpfe drehen und allem, und das, obwohl der Gensbichler beileibe kein so helles Licht war - erst da wurde er stutzig. Aber da war es längst zu spät. Sie hätten die Mini-Kameras gar nicht mehr gebraucht. Sie wussten eh schon alles. Sie waren längst in seinem Haus gewesen, seinem Handy, seinem Computer, ein besonders findiger verdeckter Ermittler sogar in seiner Frau - einfach in seinem ganzen traurigen und nunmehr durch die Stigmatisierung, die er sich aber natürlich nur selber zuzuschreiben hatte, endgültig verpfuschten Leben.

Und jetzt saßen sie ihm gegenüber, in seinem Wohnzimmer. Sie waren praktisch durch mit der Steuerprüfung. "Jetzt kommen Sie schon, Herr Gensbichler“, sagte der Chefermittler. "Erleichtern Sie endlich Ihr Gewissen. Außerdem … Wenn Sie jetzt nicht bald kooperieren, dann kann ich Ihnen auch keine Strafmilderung mehr versprechen. Ich lehne mich da ohnehin schon weit aus dem Fenster. Denn an sich verstehen die oben bei Fällen wie Ihrem überhaupt keinen Spaß mehr.“

Das können Sie Ihrer Großmutter erzählen, Herr Gensbichler! Aber nicht uns. Denn wir kennen solche Leute wie Sie nur zu gut

Am oberen Rand von Gensbichlers linker Augenbraue rollte ein Schweißtropfen langsam nach außen und troff schließlich auf sein billiges Hemd herunter. Gensbichler schaute an dem Mann, der ihm gegenüber saß, vorbei. Hinter ihm an der Wand hing ein Foto. Eine Erinnerung aus glücklicheren Tagen, von einem Familienurlaub. Nicht in der Karibik, nein. Auf einem Campingplatz in Dalmatien. Gott, waren die Kinder damals noch klein gewesen. War das 2004 gewesen? Oder doch 2005?

"Herr Gensbichler! Meine Geduld ist zu Ende! Wie lange wollen Sie uns noch hinhalten? Geben Sie es endlich zu!“

Gensbichler entrang sich einen Seufzer. Und dann sagte er langsam: "Ich verstehe nicht ganz, worauf Sie hinauswollen. Ich versichere Ihnen, ich habe nie … “ - "Nie?“, unterbrach ihn der Chefermittler dröhnend. "Das können Sie Ihrer Großmutter erzählen, Herr Gensbichler! Aber nicht uns. Denn wir kennen solche Leute wie Sie nur zu gut.“

Gensbichler senkte den Kopf. "Ich wollte nur sagen, ich habe nie eine Briefkastenfirma besessen. Oder Geld auf die Jungferninseln verschoben. Oder …“ Sein Gegenüber riss die Augen weit auf und starrte Gensbichler einen Moment lang ungläubig an. Und dann begann der Chefermittler schallend zu lachen. "Jung-fern-in-seln!“, stieß er hervor. "Habt ihr das gehört? Ha!“ Seine Kollegen stimmten in das Gelächter ein. Es schwoll zu einem regelrechten Orkan an. Einer schlug sich mit der Hand auf den Schenkel und ein anderer wischte sich sogar mit dem Handrücken eine Träne aus dem Gesicht. Als endlich wieder Ruhe einkehrte, beugte sich der Chefermittler nach vor und kam ganz nah an Gensbichlers Gesicht heran.

"Jetzt passen Sie einmal auf, ja? Briefkastenfirmen? Jungferninseln? Das interessiert die Finanz doch einen feuchten Dreck! Aber was uns sehr wohl interessiert, ist das hier: eine Rechnung vom "Gasthof Post“. Da haben Sie angeblich einen Kunden bewirtet. Aber: an diesem Tag hatte der "Gasthof Post“ … Na, was wohl? Genau! Ruhetag!“

Gensbichlers Kopf sank noch tiefer. Er wusste, er war erledigt.

Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz

Kolumnist im Österreich-Ressort