Rainer Nikowitz

Rainer Nikowitz Sound of Silence

Sound of Silence

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Laura lümmelte auf dem Sofa in der Ecke. Wie immer mehr Déco als Art. Beide. Sie checkte auf dem iPad, ob Werner auf Facebook in der Zwischenzeit wenigstens schon einen Fan hatte, der nicht musste.
Ihr Held stand in der Zwischenzeit am Fenster und lugte durch einen schmalen Spalt in den haltlos verstaubten roten Vorhängen vorsichtig auf die Straße. Er wollte auf keinen Fall gesehen werden. Denn wenn einen der Falsche sah, kam der unter Umständen gleich wieder auf verrückte Ideen und verlangte von ihm Wirtschaftskompetenz oder Führungsqualitäten oder sonst irgendetwas Unanständiges. Unten strich gerade ein Plakatierer mit geübtem Besenschwung den letzten Bogen seines heutigen Arbeitspensums glatt. Werner las, was der brave Mann da an die Wand geklebt
hatte, und schnaubte dann verächtlich: „Wisst’s, was der
Strache jetzt wieder plakatiert? ‚Kriecherlschnaps statt Griechenswaps‘! So ein mieser Populist, so ein unverantwortlicher! Man sollt direkt was tun. Sollt ma net?“

Laura schenkte ihm einen trotz seiner Kürze hinreichend irritierten Blick. Dann schüttelte sie verständnislos den Kopf, seufzte ostentativ und drückte zum zweiundzwanzigsten Mal in den letzten drei Minuten auf den „Gefällt mir“-Button.
„Oder wenigstens was … sagen?“, fügte Werner hilflos an.
„Reg di um Gottes willen net auf, Werner! Swaps, i bitt di gar schee! Des versteht do eh kana“, sagte die Finanzministerin gelangweilt und ging wieder daran, bei ihrem Videospiel, so einem Ego-Schotter oder wie das hieß, einen neuen Highscore aufzustellen.
„Ja, aber, es is ja net nur deswegen“, blieb Werner renitent. „Vielleicht sollten wir überhaupt einmal erklären, was Sache ist … Wie wär’s mit einer richtig groß angelegten Debatte über den Euro. I mein, immerhin sind wir die Regierung, und wir haben die größte Krise seit überhaupt und … Und dann könnt ma ja von mir aus auch streiten, ob jetzt der EFSF gscheit ist oder ob’s einen Nordeuro geben soll oder ob die EZB nonstop Geld drucken soll – was weiß ich! Wär das nix? Ha?“

Die Blicke von Laura und Mitzi trafen sich in einer unvermuteten Aufwallung koalitionärer weiblicher Solidarität. Dann verdrehte Laura die Augen, machte mit der flachen Hand eine Wischbewegung vor ihrem Gesicht, und ihre Blicke trennten sich zufrieden wieder.
„Du kennst mi, Werner“, mengte sich der Cap Pepperl, der zugegeben von seiner nachmittäglichen Ehrung als gleichzeitig längstdienender wie auch unbeliebtester Abgeordneter der Welt noch ein klein wenig angeheitert war, begütigend in die auch ohne ihn schon erstaunlich hochstehende Debatte ein. „Wenn i was wirklich gern tu, dann is es reden. Aber schau: Nach dem letzten Gipfel hast du den Leuten gsagt, dass du ihre Sparbücher gerettet hast. Damit is doch alles gsagt!“

In diesem Moment erinnerte sich Michael Spindelegger kurz daran, dass er ja auch noch da war.

Dummerweise hatte er es gleich darauf wieder ver¬gessen.
Werners Verzweiflung wuchs. „Und was tamma jetzt mit der griechischen Volksabstimmung? Wir müssen doch a Meinung dazu haben. I kann net den ganzen Tag in dem Zimmer bleiben. Irgendwann muss i aufs Klo, und dann passt mi draußen einer ab, und scho muss i was sagen a!“
Die Finanzministerin blickte von dem Schlachtfeld, das sie hinterlassen hatte, auf und wurde streng: „Na, da wirst halt no zsammzwicken müssen! Wir machen’s wie immer: Wir warten, bis die Merkel was dazu gsagt hat, und dann sag ma dasselbe. Des is für alle Beteiligten am angenehmsten.“ Fekter schüttelte sich vor Grauen. „Außer natürlich für die Merkel. Den Job möcht i net für viel Geld haben.“

Da hatte die Mitzi natürlich Recht. Manchmal, in seinen dunkelsten Momenten, stellte sich Werner vor, er wäre Angela Merkel. In erster Linie beschäftigte ihn dabei natürlich der Gedanke, wie er mit dieser Frisur vernünftige Anzeigenfotos zusammenbringen sollte, aber er überlegte sich natürlich auch, wie er denn die Eurokrise angehen würde. Mehr noch: Er hatte nach reiflicher Überlegung sogar eine Lösung gefunden.
Er würde recht viel lächeln – und ansonsten Sarkozy machen lassen.
Also im Wesentlichen eh so wie jetzt.
Aber da war dennoch etwas, das an ihm nagte. „Was, wenn das schiefgeht? Wenn unser Triple-A weg is und die ganze Kohle. Werden die Leut dann net uns die Schuld geben? Werden die net sagen: ‚Was habt’s uns des net gsagt?‘“

Laura fiel fast das iPad aus der Hand. „Wir? Schuld? Schuld sind die Spekulanten und Finanzhaie!“
Und Cap ergänzte lächelnd: „Weil eines ist ja wohl klar: Wir sind auch die 99 Prozent! Und jetzt dreht’s bitte den Fernseher auf. I möchte sehen, was wir heute alles in Cannes nicht beschlossen haben.“
Und schon spürte Michael Spindelegger aufs Neue, dass jetzt sein Moment gekommen war. Und diesmal ließ er ihn nicht ungenützt verstreichen – da war er wie ein kaltblütiger Goalgetter. Er stand auf, strich sich die Falten in seinem an einem anderen möglicherweise gar nicht so schlecht aussehenden Anzug gerade und sagte dann:
„Wieder was erledigt!“

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Rainer Nikowitz

Kolumnist im Österreich-Ressort