Rainer Nikowitz

Rainer Nikowitz Speedy Spindi

Speedy Spindi

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Wenn wieder einmal nichts Gescheites im Fernsehen war – eigentlich ja ein trauriger Dauerzustand, dem wohl nur durch die Besetzung des ORF-Chefpostens mit einem allseits anerkannten, neutralen Fachmann wie zum Beispiel Karlheinz Kopf beizukommen gewesen wäre –, schaute sich Michael Spindelegger die Best-of-DVD seines Wahlkampfes an. Und jedes Mal wieder wunderte es ihn nicht eine Sekunde, dass diese Preziose selbst im bestsortierten Fachhandel längst vergriffen war.

Wenn er sich da selber mit geballter Faust donnern hörte: „Mit mir gibt es keine Steuererhöhung, sondern eine Steuererleichterung!“, bekam er stets feuchte Augen. So hatte schließlich alles angefangen. Sicher, er hätte auch, wie es sein genialer Stratege Hannes Rauch in seiner großen Verbundenheit zu den ebenso vernunftbegabten wie erfolgreichen US-Republikanern angeregt hatte, sagen können: „Read my lips: No new taxes!“ (Wobei, um jetzt ganz genau zu sein, hatte Hannes angesichts der speziellen Situation Spindis gemeint, er solle lieber die Einzahl verwenden, also: „Read my lip!“) Aber bodenständig, wie er gerade als damals noch amtierender Außenminister war, hatte er sich dann sowieso für die kernwählerfreundliche Variante entschieden.

Und diese hatte ihn genauso zuverlässig dorthin geführt, wo er jetzt stand: Neben großen Österreichern wie Bubi Bradl, Gusenbauer (Ilona natürlich, nicht Alfred), Felix Baumgartner oder aber auch Kurt Leidenfrost, an dessen 37 Käsekrainern binnen zehn Minuten nun schon Generationen von durchaus ambitionierten Wettfressern gescheitert waren – in der strahlenden Reihe der österreichischen Weltrekordhalter.

Das sollte ihm bitte einmal einer nachmachen: Es war erst genau 24 Tage her, seit er der tränenüberströmten Maria Fekter das Amt des Finanzministers entwunden hatte – und schon waren die Gesetzesvorlagen für die erste Großtat der neuen Regierung rausgeschossen: für die Steuer–erhöhungen! Tja, Speedy Spindi, wie ihn seine Freunde, also Erwin, gerne nannten, zog eben schneller als sein Schatten. Also Erwin. Und wenn in diesen 24 Tagen nicht so furchtbar viele Weihnachtsfeiertage enthalten gewesen wären, die er zwar als braver Christ schätzte, aber nicht so sehr als verantwortungsvoller Finanzpolitiker, dann wäre der Rekord für das weltweit am hurtigsten gebrochene Wahlversprechen wohl überhaupt einer für die Ewigkeit geworden.

Zum Ausgleich für diese ärgerliche Verzögerung war aber wenigstens die Begutachtungsfrist von den üblichen sechs auf zwei Wochen verkürzt worden, damit schon ab 1. März mehr Kohle für die umsichtige Verteilung durch den smarten Säckelwart bereitlag. Schließlich sollte niemand sagen, Spindi ruhe sich auf seinen Lorbeeren aus.

Wurde er jetzt aber deshalb gefeiert? Gab es Spindi-Flashmobs mit Sprechchören und Feuerwerken? Wurden sämtliche Neujahrsbabys flächendeckend nach ihm benannt? Durfte er in der Straße der Sieger seine feingliedrigen Finger und sensiblen Füße in feuchten Beton drücken?
Nein, natürlich nicht. Das durfte man in einem durch und durch mit Undankbarkeit getränkten Land wie Österreich, das sich ja nicht erst seit dem Beginn dieser Legislaturperiode konstant weigerte, die schiere Größe seiner überzeugend gewählten Lenker anzuerkennen, klarerweise nicht erwarten. Aber nicht genug damit: Blöd anreden musste man sich auch noch lassen! Und musste erklären, dass „Mit mir gibt es keine neuen Steuern!“ natürlich nicht als „absolutes Versprechen“ gemeint gewesen sei, sondern mehr als „Richtung“. Ganz so, als ob das bei dieser bewusst vorsichtig gewählten Formulierung nicht ohnehin sofort sonnenklar gewesen wäre!

Aber Dankbarkeit war nun einmal keine politische Kategorie. Also focht Speedy Spindi die Ungerechtigkeit, die ihm da wieder einmal widerfuhr, auch nicht weiter an. Er würde einfach unbeirrt seinen Weg weitergehen, das war er sich und seinem Rückgrat schuldig. Und als nächstes irgendwas entfesseln. Nicht die Wirtschaft, nein. Das hatte er zwar auch versprochen, aber … „Richtung“ und so, nicht wahr? Nein, Spindi dachte entfesselungskünstlerisch mehr an etwas anderes. Angesichts der völlig unverständlichen Kritik aus seiner eigenen Partei an seiner Haltung in der Gesamtschulfrage – die nicht abreißen wollte, obwohl er doch im Wahlkampf klipp und klar gesagt hatte: „Mit mir gibt es keine Gesamtschule – weil sie kompletter Humbug und Blödsinn ist!“ –, würde es ihm mit ein bisschen Glück möglicherweise gelingen, zumindest einmal eine schöne alte ÖVP-Tradition wieder zu entfesseln: die Obmanndebatte.

Und falls nicht, dann hatte er zumindest immer noch das Wissen um seinen Platz in den Geschichtsbüchern. Und seine Best-of-DVD. Und nicht zuletzt: Erwin.

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Rainer Nikowitz

Kolumnist im Österreich-Ressort