profil-Kolumnist Rainer Nikowitz
Satire

Rainer Nikowitz: Unschuld am Sande

Sebastian Kurz fordert nach dem Rücktritt von Rudi Anschober – mit dem er natürlich nichts zu tun hatte – eine bessere Politkultur. Von allen anderen.

Drucken

Schriftgröße

Der Kanzler verstand die Welt nicht mehr. Und was vielleicht noch schlimmer war: Er hielt den Verdacht, es könnte sich umgekehrt langsam genauso verhalten, nicht mehr für völlig unbegründet.

Jetzt redeten nämlich schon wieder alle von diesem Anschober. Und als ob die bloße Tatsache nicht schon ärgerlich genug gewesen wäre: die meisten auch noch gut! Das musste man eindeutig als das letzte Foul des Gesundheitsministers sehen, dass er sich selbst in statu abeundi noch einmal beliebt gemacht hatte – mit Ehrlichkeit und Emotionalität. Zwei absurde Kategorien, wenn man den Kanzler fragte.

Aber man fragte ihn in diesem Zusammenhang leider etwas ganz anderes: Ob er sich nicht zumindest mitschuldig daran sehe, dass Anschober nicht mehr konnte und wollte. Weil sich der grüne Falott in seiner Abschiedsrede zwar bei allen möglichen Leuten bedankt, aber dabei ausgerechnet seinen lieben Koalitionspartner sehr lautstark verschwiegen hatte. Der Kanzler musste einräumen: Das hatte er schon sehr verletzend gefunden.

Aber kümmerte sich vielleicht auch einmal jemand um seine Gefühle? Weit gefehlt! Ganz im Gegenteil! Er wurde immer noch für seine sympathische „Wir haben keinen Impfstoff und daran sind alle außer mir schuld!“-Pressekonferenz kritisiert, weil er in dieser angeblich auf den zu diesem Zeitpunkt das erste Mal im Krankenstand befindlichen Gesundheitsminister hingetreten hatte. Oder auch dafür, dass er Anschober im Ringen mit den klugen und niemals von schnöden Partikularinteressen getriebenen LandesfürstInnen des Ostens um sinnvolle Corona-Maßnahmen völlig im Regen stehen gelassen hatte.

Ganz so, als ob das seine Schuld wäre, wenn jemand nicht und nicht einsehen wollte, was selbstverständlich auch in einer Pandemie Dreh- und Angelpunkt aller heimischen Politik zu sein hatte: Bewahrung und Förderung des Ruhms des Kanzlers! Konnte es denn ein hehreres Ziel geben? Was war daran bitte so ungeheuer schwer zu verstehen?

Es war natürlich sonnenklar, wer für diese Verrohung der politischen Sitten, die er seit den ungeheuren Intrigen eines Reinhold Mitterlehner gegen den Retter des Abendlandes so nicht mehr erlebt hatte, verantwortlich war: alle anderen. Da war natürlich einmal die Opposition in die Pflicht zu nehmen, die gerade jetzt nichts Besseres zu tun hatte, als an verkorksten Impfplänen herumzumäkeln oder gar die ordentliche Beschäftigungspolitik der Türkisen vor einem euphemistisch „Untersuchungsausschuss“ genannten Femegericht in den Dreck zu ziehen.

Statt, wie es sich eigentlich gehört hätte, endlich per Bussi-Emoji den nationalen Schulterschluss zu vollziehen. In der Einsicht, dass es für alle das Beste war, wenn man die Lichtgestalt an der Spitze einfach machen ließ, ohne blöde Fragen zu stellen oder sich gar irgendwie einzumischen.  

Das galt natürlich genauso für die Medien. Wie viel Verantwortungslosigkeit in Form von kaum verhüllter Kritik an der ÖVP und sogar ihm persönlich man da lesen und hören musste, war schlicht erschütternd. Immer noch gab es Redaktionsstuben in diesem Land, die über keinen Kanzlerwinkel verfügten, in dem man sich etwa zur Sammlung und Erbauung vor der Abfassung eines Kommentars noch einmal die zehn Mediengebote durchlesen konnte, deren Befolgung für den Eintritt in das Himmelreich – also Durchfütterung mittels Regierungsinseraten – unabdingbar waren.

Das wichtigste von ihnen lautete klarerweise: „Du sollst den Namen des Herrn ehren.“ Aber selbst an dieser nun wirklich nicht wahnsinnig schweren Aufgabe scheiterten viele in nun wirklich nicht schöner Regelmäßigkeit.

Was es da brauchte, war ein neues Bewusstsein, einen Kodex für den anständigen Umgang miteinander, ein frisch gestrichenes moralisches Gerüst. Und wer wäre besser geeignet gewesen, ein solches zu bauen, als er? Er hatte schließlich immer versprochen, dass er alles anders machen würde. Dass es nicht nur keine galoppierende Freunderlwirtschaft mehr geben würde, sondern auch einen ganz neuen Stil.

Und da war es auch völlig egal, wenn sich viele verwundert die Augen rieben, ob der Behauptung des Kanzlers, er selbst habe niemals in seiner von durchgängiger Sauberkeit geprägten Karriere den Schmutzkübel verwendet – und sogar sofort etliche Gegenbeweise präsentieren konnten. Donald Trump konnte sich vor einen Baum stellen, dessen Blätter ungerührt für blau erklären – und seine Anhänger glaubten ihm das. Da würde doch einer wie der Kanzler locker empört Fair-Play einfordern können, selbst wenn sich der letzte Gegner, den er mit einer Blutgrätsche niedergestreckt hatte, noch hörbar wimmernd vor ihm am Boden wälzte.

Und die Umfragen würde er auch noch in den Griff bekommen. Die mussten klarerweise auch wieder fairer werden. Zu ihm. Für den Anfang würde es da schon reichen, die Kanzlerfrage ersatzlos zu streichen. Denn die konnte ja wohl niemand ernsthaft stellen.

 

Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz

Kolumnist im Österreich-Ressort