Rainer Nikowitz

Rainer Nikowitz Wenn der Kanzler einmal klingelt

Wenn der Kanzler einmal klingelt

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Karl Petzenhuber würde diesen Samstagnachmittag sicher sein Leben lang nicht vergessen. Zum einen hatte es im Baumarkt seines Vertrauens heute eine Aktion gegeben: Mit der Stammkunden-Megaseller-Bonus-Aktiv-Card – und Karl Petzenhuber war selbstredend im Besitz derselben – konnte man heute beim Erwerb von zwei Hunderter­packungen „Hang On“-Gipskartonplatten­dübeln der Stärke acht eine Fünfundzwanzigerpackung der Stärke sechs kostenlos hinzu lukrieren. Nun war Karl Petzenhuber – oder, wie seine Freunde ihn zu nennen pflegten, der Petzenhuber Karl – an sich ein Mann ohne Leidenschaften. Bei Gipskartonplattendübeln allerdings spürte er das Tier in sich. Bei den heutigen spürte er es umso drängender, als ihm an der Kassa des Baumarktes bewusst wurde, dass er im Aktionsblatt den doch eher minder prominent platzierten Zusatz „Solange der Vorrat reicht“ nicht registriert hatte.

Und nunmehr registrieren musste, dass der Vorrat halt nur 22 Minuten gereicht hatte. Solcherart ohnehin schon eher nicht vollkommen wolkenlos gestimmt, wurde ihm von seiner Frau mittags auch noch Spinat mit Rösti vorgesetzt, wo sie doch in ihrer langen Ehe, in der sie gemeinsam durch so manche Stürme des Lebens gekreuzt waren, an sich ­eines wirklich schon gelernt haben musste: Samstag war Fleischtag, Kruzifix noch einmal!

Und an diesem – der Petzenhuber Karl stand nicht an zu sagen: verpatzten – Auftakt des wohlverdienten Wochen­endes nach einer harten halben Woche Krankenstand wegen dieses hartnäckigen Tennisarms, der ihn seit Jahren bevorzugt an Fenstertagen befiel, an diesem Samstag des Grauens läutete es gegen halb drei Uhr nachmittags draußen am Gartentürl.
Der Mann, den der Petzenhuber Karl auf dem Bildschirm seiner Video-Gegensprechanlage sah, kam ihm gleich irgendwie bekannt vor. „Ja?“, bellte er entschieden in den Hörer, denn er schätzte es überhaupt nicht, an einem Samstag, noch dazu an einem, der bereits ein Gipskartonplattendübeldesaster mit sich gebracht hatte, gestört zu werden. Am Schirm konnte er sehen, wie sich der Mann noch einmal die Haare glatt strich.

„’s Gott!“, sagte der Mann. „Faymann mein Name. Bundeskanzler Faymann. Ich war grad in der Gegend und hab mir gedacht, ich schau vielleicht einen Sprung vorbei und frag einmal, wo denn so der Schuh drückt.“ Der Petzenhuber Karl war jetzt aber doch einigermaßen baff. Normalerweise kam höchstens der Freigassner Vitus vorbei, weil er sich einen Liter ausschnapsen wollte, den er nicht hatte. Oder der Donauland-Betreuer mit einem Liebesroman für die Frau.

Und jetzt stand da der Bundeskanzler, und der Petzenhuber Karl konnte ihn nicht brauchen. „Wollen wir über die EU reden?“, schnarrte es aus dem Hörer. „Oder über die Wirtschaftskrise und ihre ganz persönlichen Folgen für Sie? Oder sind Sie an den unverrückbaren ideologischen Grundsätzen der SPÖ im Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne interessiert? Mit mir können Sie über alles reden!“

Der Petzenhuber Karl schaute unschlüssig ins Narrenkastl. Die EU …, nun ja. Die EU war ihm …, wie sollte er sagen …, scheißegal? Konnte man zu einem Bundeskanzler „Scheiße“ sagen? ­Wobei, jetzt, nachdem er sich, bedingt durch die Anregung des Bundeskanzlers, zum ersten Mal ausgiebig mit der EU beschäftigt hatte, kam er ja ohnehin eher zu dem Schluss, dass er dagegen war. Weil die da oben. Und so halt. „Herr Petzenhuber? Sind Sie noch da? Wie wäre es mit einer lebhaften Debatte über Bildung und Forschung? Oder irgendwas anderes! Ich bin sicher, wir finden eine Gesprächsbasis.“ Bildung? Forschung? Tradition und Moderne? Das Feinrippleiberl des Petzenhuber Karl färbte sich unter den Achseln dunkelweiß. Was wollte der Mann von ihm? Ihn ärgern? Und das nach allem, was ihm heute schon an Unbill widerfahren war?

„Der Baumarkt …“, murmelte der Petzenhuber Karl. „Ja?“, antwortete der Bundeskanzler flott. „Gibt’s da leicht Probleme? Ist der Kundenverkehr zu laut? Haben die größer gebaut, als sie durften? Wurde der lokale Einzelhandel durch diesen Multi in Mitleidenschaft gezogen? Herr Petzenhuber, jetzt lassen S’ mich doch bitte herein!“ Der Petzenhuber Karl atmete tief durch. Mit einem Mal fühlte er: Jetzt war seine Stunde gekommen. Endlich konnte er all das aufzeigen, was in diesem Land schieflief. Konnte den Finger in die offenen Wunden der Gesellschaft legen. Endlich konnte er, der Petzenhuber Karl, der kleine Mann, dem sonst nie jemand zuhörte, einmal seine Argumente vorbringen. Und, weiß Gott: Er hatte gute.

„De vom Baumarkt“, schrie er, „alles Arschlöcher!“ „Ich verstehe“, rief der Bundeskanzler enthusiastisch. „Ich bin für Sie da. Erzählen Sie mir mehr!“ Und der Petzenhuber Karl kreischte: „Und de Politiker a!“ Am anderen Ende herrschte eine Zeit lang betroffene Stille. Dann räusperte sich der Bundeskanzler und sagte tonlos: „Gehört nicht vielleicht der Rasen gemäht?“ Aber da hatte der Petzenhuber Karl schon aufgelegt.

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Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz

Kolumnist im Österreich-Ressort