Robert Treichler: Antieuropäische Pandemie

Vorzeigeländer wie Österreich könnten die Krise meistern – und dabei trotzdem verlieren.

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Dankbarkeit ist eine selten geäußerte Emotion in einem profil-Kommentar. Aber was soll’s – ungewöhnliche Zeiten erfordern ungewöhnliche Maßnahmen, und ungewöhnliche Maßnahmen wecken ungewöhnliche Reaktionen. Also: Danke, liebe Bundesregierung, dass Sie uns rechtzeitig und unnachsichtig in unsere Wohnungen gescheucht haben!

Andere Regierungen haben aus unterschiedlichen Gründen anders gehandelt, wenn auch nicht nach einheitlichen ideologischen Kriterien. Die USA (gaga-populistisch), Großbritannien (abenteuerlustig-rechtsliberal) und Schweden (links-grün-verträumt-liberal) ließen wertvolle Zeit verstreichen, ehe sie auf den Kurs einschwenkten, den Länder wie Österreich erfolgreich vorgaben.

Hierzulande klappte der von oben verordnete Rückzug in die eigenen vier Wände aus drei Gründen klaglos: traditionelle Obrigkeitshörigkeit, die ideologische Bandbreite der türkisgrünen Regierung (man empfand die Order nicht als von rechts oder links kommend) und schließlich die authentische Ernsthaftigkeit der handelnden Personen Kurz, Kogler, Anschober, Nehammer. Kleine Missgeschicke wie der Ostererlass verrieten eine gewisse Hektik, doch in Wahrheit wussten wir längst alle, was geboten ist und was nicht: Ein Abendmahl zu zwölft ist Sünde, der Judaskuss tabu, Ostereiersuchen zwischen Küche und Kabinett im Kreis der Haushaltsgemeinschaft hingegen gefällig vor Gott und Anschober.

Österreich hat viel richtig gemacht und darf deshalb sehr erleichtert und auch ein wenig stolz darauf sein. Doch da die Bekämpfung der Pandemie als multinationale Anstrengung organisiert wurde, hat sich so etwas wie* eine Europameisterschaft herausgebildet. In den Nachrichten liegt Spanien sehr schlecht, Italien erholt sich ein wenig, Frankreich stürzt ab, Schweden taumelt, Deutschland verzeichnet Erfolge.

Selbstverständlich ist jede Regierung zuallererst für die Gesundheit der eigenen Bevölkerung zuständig, doch eine Pandemie ist kein Länderspiel – im Gegenteil: Wenn die Staaten, die dank Geschick und Glück besser aus der Misere herauskommen, die anderen im Stich lassen, verlieren am Ende alle.

Es sendet ein fatales Signal, dass Europa uneins ist, wie man Italien helfen soll.

Die Anzeichen dafür sind bereits beunruhigend: Italien fühlt sich von den europäischen Staaten alleingelassen. Zwar ist medizinische Hilfe seitens der EU angelaufen, doch sie kommt spät. Mittlerweile wachsen auch die wirtschaftlichen Sorgen unserer südlichen Nachbarn. Es droht die tiefste Rezession seit 1945. Deshalb nahm Italien gemeinsam mit Spanien, Frankreich und sechs weiteren Staaten der Eurozone im März einen neuen Anlauf, um „Coronabonds“ zu fordern – in Anlehnung an die umstrittenen und nie realisierten „Eurobonds“, die eine Vergemeinschaftung von Staatsschulden bedeutet hätten. Vor allem Deutschland, Österreich und die Niederlande lehnen Coronabonds aus rechtlichen und politisch-ideologischen Gründen strikt ab.

Eine weitere Debatte darüber erscheint sinnlos und zeitraubend. Doch die Tatsache, dass Europa uneins ist, wie man Italien am besten helfen soll, sendet ein fatales Signal. Italiens Staatspräsident Sergio Mattarella warnte kürzlich in einer TV-Ansprache an die Nation vor der „ernsten Bedrohung Europas“. Gemeint ist nicht die Coronavirus-Seuche, sondern die antieuropäische Stimmung, die ihr folgt. Bereits 67 Prozent der italienischen Bevölkerung halten die EU-Mitgliedschaft für einen Nachteil. Allzu bestimmend ist der Eindruck, ihr Schicksal sei den reicheren EU-Staaten nicht wichtig.

Auf wirtschaftlich starken EU-Staaten, darunter Österreich, lastet jetzt eine schwere Verantwortung. Selbst geplagt von den ökonomischen Folgen der Pandemie, müssen sie sich zu einem gewaltigen – und gewaltig teuren – Akt europäischer Solidarität aufschwingen.

Österreich spielt dabei bisher keine glanzvolle Rolle. Während andere Staaten, etwa Deutschland, Frankreich oder Irland, dem überforderten Griechenland Flüchtlinge aus den überfüllten Lagern der Ostägäis abnehmen wollen, zuckt die Regierung Kurz nur mit den Schultern. Und auch bei der Rettung Italiens verweist Wien trocken auf bestehende – und bei den südlichen Staaten unbeliebte – Instrumente wie den ESM-Fonds. Finanzminister Gernot Blümel fasste die Haltung Italiens herablassend so zusammen: Sie weigerten sich, in bereitgestellte Rettungsboote zu steigen, und sagten lieber: „Ich will da nicht einsteigen, ich möchte ein größeres und schöneres, und der andere soll es zahlen.“

Mit einer solchen Attitüde vergrault man auch noch die letzten Proeuropäer in Italien. Die Rechtspopulisten reiben sich die Hände. Ihre Anti-EU-Propaganda fällt wieder auf fruchtbaren Boden. Es ist ein schlimmes, aber leider realistisches Szenario: Ökonomisch und gesundheitspolitisch potente Staaten wie Österreich und Deutschland überwinden die Pandemie, bringen ihre Wirtschaft wieder ins Laufen, machen also nationalstaatlich alles richtig – doch sie lassen angeschlagene EU-Staaten auf dem Weg zurück. „Verliert Europa Italien?“, titelte die „Financial Times“ vergangene Woche bange.

Es wäre eine der schlimmsten politischen und wirtschaftlichen Folgen der Coronavirus-Pandemie: eine antieuropäische Pandemie.

[email protected] Twitter: @robtreichler

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur