Leitartikel

Robert Treichler: #!&$%!

Warum es falsch ist, Marko Arnautović zum Rassisten zu stempeln.

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Vorab: Ich habe zu Marko Arnautović dieselbe Beziehung wie die meisten Leute: Ich kenne ihn nicht persönlich, aber ich bewundere die Art, wie er Fußball spielt.

Seit Arnautović im Spiel Österreich gegen Nordmazedonien den gegnerischen Spieler Ezgjan Alioski beschimpft hat, steht der Vorwurf im Raum, Arnautović sei Rassist. Als Rassist bezeichnet zu werden, ist eine der am schwersten wiegenden Anschuldigungen, die man gegen den Charakter eines Menschen erheben kann. Rassisten soll man ächten, so der – vernünftige – gesellschaftliche Konsens.
 

Ist der Vorwurf in diesem Fall gerechtfertigt? Und ganz allgemein: Wann ist jemand Rassist?

Was Arnautović genau gebrüllt hat, war nicht zu hören, weil der Torjubel durchs Stadion brandete. Auch Alioski, der Adressat der Beschimpfung, sagte später, er habe Arnautović akustisch nicht verstehen können. Dennoch ist gesichert, dass der Österreicher mit serbischen Wurzeln Alioski einen Ausdruck an den Kopf geworfen hat, der auf abfällige Weise Albaner bezeichnet. Sprachkundige lasen das von seinen Lippen ab, und Arnautović hat es auch nicht dementiert.

Ein Beispiel für Rassismus wie aus dem Lehrbuch also. Allerdings nur, wenn man jeglichen Kontext ausblendet.

Arnautović ist Leistungssportler in einer Disziplin, die von den Spielern ein hohes Maß an – kontrollierter – Aggressivität verlangt. Diese wird von Jugend an trainiert und ist ebenso wichtig wie etwa gut dribbeln zu können. Millionen von Fußballanhängern sehen Arnautović deshalb zu, weil er das aggressive, körperbetonte Spiel ausgezeichnet beherrscht.

Jetzt hatte Arnautović in einem wichtigen Spiel unmittelbar, nachdem er ein Tor erzielt hatte, einen emotionalen Ausbruch, und der richtete sich gegen Alioski. Möglich, dass Arnautović sich provoziert gefühlt hat, aber für seine Bestrafung ist das irrelevant. Wenn ein Spieler anstößige, beleidigende oder schmähende Äußerungen tätigt, bekommt er dafür die Rote Karte, oder, sollte es der Schiedsrichter wie bei Arnautović nicht bemerken, eine später verhängte Sperre. Die Strafe für Arnautović war also laut Reglement gerechtfertigt, aber das gibt noch keine Antwort darauf, ob man Arnautović einen Rassisten nennen soll.

Offenbart das, was man im Zustand einer Aufwallung von sich gibt, den wahren Charakter? Diese Ansicht widerspricht jeglicher Alltagserfahrung. Im Zorn hat jeder schon einmal Dinge über andere geäußert – selbst über geliebte Menschen, etwa über die eigenen Kinder –, die überhaupt nicht dem entsprechen, was man tatsächlich denkt und fühlt.

Dazu kommt die Besonderheit des Lokalchauvinismus im Fußball. Weil die gegnerische Mannschaft aus einem anderen Ort, einer anderen Region oder einem anderen Land stammt, ist dieses Merkmal gewissermaßen der Kern der Rivalität. Das gilt vor allem für das Publikum, das Schmähungen der Gegner an deren – bei Klubmannschaften meist ohnehin nur virtuellen – Herkunft festmacht. Es ist eine ritualisierte Form des Schlachtrufs, die aus dem Kontext gerissen unsympathisch anmuten mag, aber es ist kein Rassismus.

Man sollte auch nicht außer Acht lassen, dass der Fußballplatz ein Ort ist, an dem Emotionen zelebriert und rausgelassen werden. Das entschuldigt nicht alles, dient aber der Einordnung, wie schlimm etwas aufzufassen ist. Als deutsche Fans im vergangenen Jahr den Milliardär Dietmar Hopp, der den Verein TSG 1899 Hoffenheim finanziert, auf Transparenten als „Hurensohn“ beschimpften, stufte die in Moralfragen durchaus strenge Wochenzeitung „Die Zeit“ dies lediglich als „billige und fantasielose Beleidigung“ ein. Merke: Der Kontext macht den Unterschied.

Es ist außerdem entscheidend, ob jemand einsieht, dass das, was er gesagt hat, inakzeptabel war und schlimmer als eine gewöhnliche Beleidigung wie „Trottel“. Arnautović entschuldigte sich nach dem Spiel bei Alioski, der nahm die Entschuldigung an.

Wer Entgleisungen als unentschuldbar begreift, verhindert in Wahrheit echte Reue und die Chance des Missetäters, sich beim nächsten Mal besser im Griff zu haben.

Rassisten denken, reden und handeln rassistisch. Unbedachte Äußerungen, die jemand gleich danach bereut, auf dieselbe Stufe zu stellen, entwertet die Schärfe des Vorwurfs.

Und noch etwas: Die moralischen Anforderungen an Leute, die in der Öffentlichkeit stehen – Popstars, Spitzensportler, Politiker –, werden zusehends umfassender. Ausrutscher werden nicht geduldet. Das wird damit begründet, dass Prominente Vorbilder für die Jugend seien – ob die das nun wollen oder nicht.

Das war nicht immer so. Früher gehörte es zum Berufsbild des Popstars, sich auch mal danebenzubenehmen. Als die Rolling Stones 1967 bei einer Razzia mit Drogen erwischt wurden, fand sogar die konservative Zeitung „The Times“ die Aufregung übertrieben und titelte: „Who Breaks a Butterfly  upon a Wheel?“ – Wer würde einen Schmetterling rädern?

Auf Marko Arnautović passt das Bild vom zarten Schmetterling nur bedingt. Rädern sollte man ihn dennoch nicht.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur