Robert Treichler: Hey, hey, wer nicht hüpft …

Unser Staatsbürgerschaftsrecht benötigt eine Liberalisierung. Das zu fordern, ist nicht „links“.

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Jeder Fußballfan kennt dieses Ritual: Man hüpft gemeinsam im Takt und singt dabei „Hey, hey, wer nicht hüpft, der ist …“ An dieser Stelle folgt die Herkunftsbezeichnung der gegnerischen Mannschaft, also zum Beispiel: „Hey, hey, wer nicht hüpft, der ist Nordmazedonier.“ (Über kleine Unschärfen im Versmaß wird auf Fantribünen großzügig hinweggesehen.) Damit ist klar: Wir, die wir da hüpfen, sind Österreicher, und die anderen sind, na ja, eben die anderen.

Wer mithüpft, ist einer von uns – so einfach ist das im Fußballstadion. Draußen hingegen gestaltet sich die Beantwortung der Frage, wer Österreicher ist und wer nicht, komplizierter.


Die SPÖ hat in der abgelaufenen Woche einen Vorschlag gemacht, den Zugang zur Staatsbürgerschaft durch mehrere Maßnahmen zu erleichtern. Prompt wurde sie dafür gescholten. Eine „Links-linke Willkommenskultur“ ortete die ÖVP, „kilometerweit nach links gerückt“ sei die SPÖ nach Meinung von „Kurier“-Journalist Richard Grasl, und ihre Ideen seien zudem „inhaltlich falsch“.

Da jedes Land den Zugang zur Staatsbürgerschaft regeln muss, gibt es genügend Vergleichsmöglichkeiten, und es zeigt sich: Österreich macht es Leuten schwerer als jedes andere europäische Land (mit Ausnahme von Bulgarien), Staatsbürger zu werden. Die Vorschriften sind in Form von Hürden gestaltet, nicht im Sinne einer Einladung.

Ist das klug? Zunächst sollte klar sein, welches Ziel man verfolgt. Österreich gehört mit Dänemark, der Slowakei und Litauen zu den europäischen Ländern, in denen anteilig am wenigsten Menschen durch Einbürgerung zu Staatsbürgern werden. Deutschland liegt kaum besser, und deshalb hat Bundeskanzlerin Angela Merkel vor wenigen Monaten anlässlich eines Integrationsgipfels gesagt, sie „ermutige“ Migranten, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen.

Merkel sagt das, weil Menschen stärker die Interessen des Staates teilen, in dem sie leben, wenn sie dessen Bürger sind. Der Staat hat also ein dringendes Interesse daran, die Leute, die dauerhaft hier wohnen, rechtlich und auch emotional an sich zu binden. Das ist ein Ziel, das aus pragmatischen Gründen jede Regierung verfolgen sollte.

Die SPÖ fordert nun unter anderem, von einem strikten Abstammungsprinzip abzugehen, das die Staatsbürgerschaft eines Kindes an die der Eltern knüpft. Die meisten Staaten praktizieren eine Mischform mit dem sogenannten Geburtsortprinzip, das Kindern die Staatsbürgerschaft zuerkennt, wenn sie im Land geboren sind und da zur Schule gehen. Ist das „links“? Nun, in Frankreich oder in den USA, wo das Geburtsortprinzip stärker ausgeprägt ist, gibt es auch erbitterte Gegner dieser Gesetze: In Frankreich etwa die weit rechts stehende Partei Rassemblement National von Marine Le Pen, in den USA zuletzt Ex-US-Präsident Donald Trump. Angesichts solcher Referenzpunkte ist „links“ relativ. Auch Liberale und Konservative anderer Länder halten am Geburtsortprinzip fest.


Eine weitere Hürde, die in Österreich Leute davon abhält, Staatsbürger zu werden, sind die relativ hohen Kosten. Die Bundesgebühren betragen bis zu 1115 Euro. Zum Vergleich: Die Gebühren, die für die „Ermittlung der Ehefähigkeit“ zu entrichten sind, um heiraten zu können, betragen 50 Euro. Diese Diskrepanz ist absurd. Der Staat hat ein Interesse daran, dass Menschen heiraten und füreinander Verantwortung übernehmen, er sollte ein ebenso großes Interesse daran haben, dass Menschen sich als Österreicher deklarieren und dies amtlich besiegeln.

Der wichtigste Einwand gegen eine Liberalisierung des Staatsbürgerschaftsrechts ist die Angst davor, dies könnte zu stärkerer Zuwanderung führen. Ausländische Frauen könnten schwanger einreisen und sich mittels sogenannter „Ankerkinder“ Staatsbürgerschaften für die ganze Familie erschleichen; Migranten würden bevorzugt Österreich ansteuern, weil sie hier leichter zu einem europäischen Pass kämen.

Solche „Pull-Effekte“ kann man nicht gänzlich ausschließen, aber viel spricht dafür, dass sie nicht sehr groß wären. Da viele andere westliche Staaten längst über ähnliche Regelungen verfügen, ist es kein großes Geheimnis, wie man Missbrauchsversuche bekämpft. Für Angehörige von „Ankerkindern“ etwa haben die USA Kontingente eingeführt, sodass der Staat regelt, wie viele Personen pro Jahr als Angehörige eine Staatsbürgerschaft bekommen können.

Im Übrigen wäre es seltsam, wenn Regeln, die in ähnlicher Form in Westeuropa gültig sind, Migranten dazu verleiten, ausgerechnet nach Österreich zu kommen.

Das Staatsbürgerschaftsrecht ausschließlich als Instrument zur Verhinderung von Zuwanderung zu betrachten, ist kurzsichtig. Vielmehr kann es die Integration und den Zusammenhalt der Gesellschaft fördern und es dient – wie jedes Gesetz – der Gerechtigkeit. Dass ein Kind ausländischer Eltern, das hier geboren ist, aufwächst und zur Schule geht, nicht dasselbe Recht hat, Österreicher oder Österreicherin zu sein wie eines, das österreichische Eltern hat, ist nicht einzusehen.

So, jetzt zurück zu Arnautović, Kalajdzic, Alaba, Lazaro und Co. Hey, hey, wer nicht hüpft …

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur