Leitartikel von Sven Gächter

Sven Gächter Der Durchlauferhitzte

Der Durchlauferhitzte

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Am 26. Juni 2008 erblickte Werner Faymann das Licht der österreichischen Weltöffentlichkeit. Die „Kronen Zeitung“ druckte einen Leserbrief von Faymann und Alfred Gusenbauer ab, in dem die beiden Sozialdemokraten den Herausgeber Hans Dichand ihrer tief empfundenen EU-Skepsis versicherten. Gusenbauer war damals noch Bundeskanzler und SPÖ-Chef in Personalunion, Faymann Infrastrukturminister in Gusenbauers Regierungsteam. Aufgrund einer langjährigen Freundschaft mit Dichand hatte sich schon während seiner Zeit als Wiener Wohnbaustadtrat eine innige „Krone“-Affinität entwickelt, nun sollte sie sich endgültig bezahlt machen: Am 7. Juli 2008 kündigte Wilhelm Molterer die Koalition mit der SPÖ auf, am selben Tag ­wurde Faymann zum sozialdemokratischen Spitzenkandidaten designiert und am 8. August zum neuen Bundesparteivorsitzenden gewählt. Bei der Nationalratswahl am 28. September erreichte er zwar nur 29,3 Prozent der Stimmen – aber immer noch genug, um den Kanzleranspruch zu stellen und diesen mit seiner Angelobung am 2. Dezember auch einzulösen.

Im Alter von 48 Jahren hatte Faymann seine steile und verstörend geradlinige politische Karriere gekrönt. ­Niemand konnte etwas ernsthaft Böses über ihn sagen, niemandem fiel allerdings auch etwas besonders Respektvolles oder Schmeichelhaftes ein, abgesehen von Dichands linientreuen Lohnschreibern. Noch im Wahlkampf hatte „Krone“-Cheflyriker Wolf Martin hymnisch gereimt: „Glatt ist der Faymann wie ein Aal? Nein, mutig ist er und sozial! Der ÖVP, der Bremserin, wirft er den Fehdehandschuh hin.“

Ein Jahr nach seiner Kandidatenweihe, sieben Monate nach seiner Kanzlersalbung weiß Werner Faymann sich vor lauter Fehdehandschuhen kaum noch zu retten. Die Wähler strafen ihn bei jeder Gelegenheit ab, Parteibasis und Gewerkschaften lassen kein gutes Haar an ihm, die „Krone“ hat ihm offiziell das Vertrauen entzogen und gönnerhaft auf die Pröll-Dynastie übertragen. Claus Pandi, Ressortleiter Innenpolitik, ­exekutiert den von Dichand verordneten neuen Anti-Faymann-Kurs mit geschmeidiger Brutalität – dass er mit der Pressesprecherin des Kanzlers, Angelika Feigl, verheiratet ist, wertet er wohl als sportliche Herausforderung.

Beobachter sprechen ungläubig von „Entzauberung“, ohne sich darüber im Klaren zu sein, worin der Zauber jemals bestanden haben sollte. Tatsächlich nutzte Faymann vor einem Jahr nur ein atmosphärisches Momentum, um den notorisch unpopulären Alfred Gusenbauer abzulösen – in der frommen Illusion, dass seine eigene Popularität bei der „Krone“ bestens aufgehoben sei. Faymanns politische Grundstrategie – bloß keine klaren Inhalte! – trug den wendigen Wiener ins Kanzleramt, wo sie nun allerdings schon nach kurzer Zeit gegen ihn ausschlägt. Von den Medien wird er nicht ernst genommen, von seiner Partei nicht unterstützt und vom Koalitionspartner nicht gefürchtet. Die wenigen konkreten Projekte, die er sich halbwegs druckvoll zu eigen machte – ORF-Reform, Lehrerstreit, Kassenpaket – sind gescheitert, seine untadelig-harsche Verurteilung der FPÖ-Kampagne im EU-Wahlkampf wurde von der Kernwählerschaft nicht honoriert, und von „proaktivem“ Wirtschaftskrisenmanagement ist wenig zu spüren.

Wir haben einen Bundeskanzler vom Format eines Sparkassendirektors“, sagt der scheidende Burgtheaterdirektor Klaus Bachler im profil-Interview. „Kaiser“ Robert Palfrader verfällt gar in politische Nostalgie: „Ich hätte nicht geglaubt, dass ich mir Alfred Gusenbauer jemals zurückwünschen würde.“ (Kommende Woche im profil-Sommergespräch nachzulesen.) Ist Werner Faymanns Karriere noch zu retten? Angesichts des Scherbenhaufens, auf dem der Kanzler steht, wären dafür jedenfalls phönixgleiche Qualitäten erforderlich. Die „Krone“ hat ihm die Protektion aufgekündigt, die eigene Partei ergeht sich in lauten Misstrauensoffensiven, die ÖVP lässt zusehends forsch die Muskeln spielen – mehr braucht es nicht, um zu erkennen, wie brüchig das Politkons­trukt Faymann ist und in Wahrheit von Anfang an war.

Die Demontage binnen Jahresfrist auf das Unvermögen eines Einzelnen zu reduzieren wäre grob vereinfacht und unfair zugleich: Werner Faymann repräsentiert ein Vakuum, das durchaus größer ist als er selbst. In diesem Vakuum spielt die österreichische Innenpolitik sich schon seit Langem ab, und man kann von ihren Protagonisten, die genuine Produkte ebendieses Vakuums sind, nicht allen Ernstes erwarten, dass ausgerechnet sie es überwinden.

Die atemberaubend niedrige Halbwertszeit der Faymann’schen Erfolgsgeschichte ist kein Systemfehler, sie ist im Gegenteil durch und durch symptomatisch für die Mechanismen eines Systems, das nur mehr auf Durchlauferhitzung angelegt ist und darauf, in jedem Gewinner auch gleich schon den Verlierer mitzuproduzieren.

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Sven   Gächter

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