Leitartikel von Sven Gächter

Sven Gächter Gift mischen

Gift mischen

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Es sind bekanntlich immer die Falschen, die zur Verteidigung des Abendlandes antreten – unter dem fadenscheinigen Vorwand, dessen drohenden Untergang abzuwenden. Sie beschwören Werte, deren Sinn und Herkunft sie nicht kennen; sie formulieren Botschaften, die sie selbst nicht verstehen, und wenn sie vor lauter Widersprüchen in ihrer Gedankenführung nicht mehr weiterwissen, werden sie zornig und sehen darin gleich wieder ein untrügliches Symptom für, richtig, den Untergang des Abendlandes. Hauptmerkmal dieser zirkulären Logik der Unvernunft ist es, unter keinen Umständen ausgehebelt werden zu können, schon gar nicht durch stichhaltige Argumente.

Trotzdem sollte man die Schlagkraft von propagandistischem Nonsens nie unterschätzen, wie die Erfolgsgeschichten vieler skandalträchtiger Kampagnen belegen, auch und vor allem jener der FPÖ. „Abendland in Christenhand“ und „FPÖ-Veto gegen EU-Beitritt von Türkei & Israel“, die aktuellen blauen Slogans im EU-Wahlkampf, markieren einen neuen Tiefpunkt in einer langen Reihe mehr oder minder verhohlen rassistischer Parolen. Ein lupenreiner Werbekreuzzug gewissermaßen. Das Kalkül ist aufgegangen: Die Freiheitlichen haben nicht erst unter Heinz-Christian Strache gelernt, öffentliche Empörung zu schüren und für ihre wahlpolitischen Zwecke zu instrumentalisieren.

Die Front der Angewiderten erscheint diesmal ungewohnt geschlossen. Bundeskanzler Werner Faymann schwang sich zu einer für seine Begriffe geradezu reißerischen Diktion auf („unerträgliche Hetze“, „Strache ist eine Schande“), Bundespräsident Heinz Fischer verließ die geschützte Zone staatstragender Überparteilichkeit – und auch Kardinal Schönborn, sonst gern um klärende politische Worte verlegen, las den blauen Zündlern von der Kanzel herab die Leviten. So viel ablehnende Eintracht strapazierte offenbar selbst Straches eiserne Nerven: „Feige und mutlos“ schimpfte er „manche maßgeblichen Kirchenfunktionäre“ und verbat sich
jede „gutmenschlich-moralisierende“ ­Kritik. His master’s voice ­Herbert Kickl, freiheitlicher General­sekretär und Cheftexter, ortete dekorativ entrüstet „eine Vernaderungskampagne gegen die FP֓, die „Verdreher und Untersteller“ sabotierten eine ehrliche Debatte über die „Leitkultur“. In Wahrheit kann man die „Leitkultur“ (in Deutschland 2000 übrigens Unwort des Jahres) nicht entschlossen genug gegen jene verteidigen, die sich ständig darauf berufen.

Ist die demonstrative Indignation der FPÖ-Granden ­womöglich ein Indiz für die Einsicht, den Bogen diesmal überspannt zu haben? Mit Sicherheit nicht. Im Gegenteil zeichnet sich eine Reprise der leidigen Debatten der neunziger Jahre ab. Wie damals Jörg Haider wird Heinz-Christian Strache lauthals den Ausgegrenztenbonus für sich ­reklamieren, und wie damals werden selbst notorische „Gutmenschen“ keinen Konsens darüber erzielen, was man entfesselten populistischen Energien entgegensetzen kann. Der frühere Bundeskanzler Franz Vranitzky hatte sich schlicht geweigert, die Haider-FPÖ als satisfaktionsfähigen politischen Gegner anzuerkennen, und damit mehr moralisches Rückgrat bewiesen, als vielen, nicht zuletzt in seiner eigenen Partei, lieb war – mit dem Ergebnis, dass Vranitzky eine Mit-, ja Hauptschuld an Haiders Aufstieg zugewiesen wurde.

Für den Aufstieg von politischen Hasardeuren wie Jörg Haider oder Heinz-Christian Strache sind jedoch in erster Linie jene verantwortlich, die sich mit deren Botschaften identifizieren und sie dafür mit ihrer Stimme belohnen. In düsteren Zeiten entspricht dies bis zu 30 Prozent der österreichischen Wahlberechtigten. Dass die Zeiten im Moment wieder einmal besonders düster sind, ­dokumentieren die Hemmungslosigkeit des laufenden FPÖ-Wahlkampfes und dessen durchaus schwindelerregende Erfolgsaussichten. Die Stimmung ist vergiftet wie schon länger nicht mehr, weil politische Giftmischer in diesem Land selten befürchten müssen, abgestraft oder gar geächtet zu werden – im Gegenteil.

Wie sähe es denn aus, das Abendland, das Strache und Konsorten neuerdings mit dem christlichen Kreuz in der Hand zu schützen vorgeben? Es wäre auf jeden Fall moslem- und judenfrei und auch sonst von jedem transkultu­rellen Einschlag gesäubert. Es wäre ein wehrhaftes antieuropäisches Bollwerk im Vereinigten Europa, eine kleine, dumpfe, unwohnliche Provinz am Rande der Bedeutungs- und Leblosigkeit. Kurz: Es wäre eine ­Insel der Unseligen, auf der sich am Ende vermutlich nicht einmal Heinz-Christian Strache richtig wohlfühlen würde. Denn es wäre niemand mehr da, gegen den er das Kreuz erheben könnte.

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Sven   Gächter

Sven Gächter