Sven Gächter

Sven Gächter Hypo-Ventilation

Hypo-Ventilation

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Sogar die bunten Perlen in Roland ­Düringers Kinnbart scheinen sich rechtschaffen zu freuen. Lustig wackeln sie hin und her, während der vom Brachialkabarettisten zum Wutbürger geläuterte Hypo-Petitionär in einer YouTube-Videobotschaft das Überschreiten der magischen 100.000-Stimmen-Schwelle würdigt. „Ich glaube, dass etwas in Bewegung ist und dass es auch Veränderungen geben wird. Bitte verbreiten Sie das weiter!“ Auch NEOS-Parteichef Matthias Strolz umgarnt das Zielpublikum mit dem ihm eigenen Pathos: „Wir brauchen euch! Würde man die Unterstützungserklärungen vor dem Parlament stapeln, wären sie so hoch wie die Statue der Pallas Athene.“ Team-Stronach-Klubobmann Robert Lugar setzt auf die mittelfristige Wirkung der „parlamentarischen Notwehr“, ebenso wie der FPÖ-Bundesvorsitzende Heinz-Christian Strache, der sich „ein rasches Umdenken bei der Regierung“ erhofft. Der Grüne Finanzsprecher Werner Kogler schließlich weiß kaum, wie ungläubig er staunen soll über diesen „seltenen Moment, wo ich Strache nicht widersprechen muss“.

So weit ist es gekommen: Grün und Blau in trauter Eintracht – und auch Pink und Gelb mischen kräftig mit! Nur Schwarz und Rot stehen störrisch im Abseits und barmen bitterlich angesichts des demokratiepolitischen Kunststücks, das ihnen unfreiwillig gelungen ist: der Opposition in ­Österreich zum ersten Mal seit langer, langer Zeit zu echter Geschlossenheit verholfen zu haben.

Die hartnäckige Weigerung der Regierungskoalition, ­einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum ­Hypo-Alpe-Adria-Debakel einzurichten, hat sich nach dem Bumerangprinzip zu einem Nebendebakel ganz eigenen Zuschnitts entwickelt. Wenn es in dieser mittlerweile schier unendlichen Skandalgeschichte ein übergreifendes Leit­motiv gibt, so ist es von Anfang an bis zum heutigen Tag der fatale Eindruck krassen Missmanagements auf allen denkbaren Ebenen: wirtschaftlich, politisch, symbolisch. Der ohnmächtige Zorn in der Bevölkerung entzündet sich nicht nur an der Milliarden- und Abermilliardendimension eines Bankencrashs mit Anlauf, er gilt ebenso sehr den unterschiedlichen Ausformungen von Orientierungslosigkeit auf der Seite derer, die, statt die Krise zu bewältigen, sie konsequent perpetuieren.

Zweifellos erfüllt der Hypo-Komplex geradezu proto­typisch alle Voraussetzungen für das Einsetzen eines Untersuchungsausschusses. Dass Finanzminister Michael Spindel­egger dieses Ansinnen als „völlig kontraproduktiv“ wegwischt, ist seinen einsilbigen Äußerungen zufolge der Verhandlungslogik gegenüber der Bayerischen Landesbank geschuldet, doch der Vizekanzler brüskiert damit einen ungleich gewichtigeren und reizbareren Verhandlungspartner: die österreichische Öffentlichkeit, die am Ende für die angerichteten Milliardenschäden aufkommen muss und dafür zumindest mit politischer Redlichkeit entschädigt werden will. Die Beteuerung des SPÖ-Kanzlers, für „volle Transparenz“ sei gesorgt, klingt vor dem Hintergrund regierungsamtlicher Vernebelungs- und Blockadepolitik wie der blanke Hohn.

Und deshalb scheint nun die historische Stunde der Opposition geschlagen zu haben. Die vier Parteien der parlamentarischen Minderheit haben sich zu ­einem farbenfrohen Zweckbündnis der Wut zusammen­geschlossen, was einerseits ein vielversprechendes Symptom für funktionierende Demokratie darstellt, andererseits nicht weit über den aktuellen Moment der Entrüstung hinausweist – schon deshalb beispielsweise nicht, weil das Team Stronach ohnehin jede Gelegenheit nutzen muss, seine Existenzberechtigung wenigstens bis zum Ende der laufenden Legislaturperiode zu retten, oder weil die NEOS ihrerseits dankbar sind für jede Chance, keine originären politischen Positionen beziehen zu müssen; vor allem aber, weil ausgerechnet die FPÖ im Kanon der Empörung besonders schrille Töne anschlägt: In dreister Opportunistenmanier hat die Partei, die ganz am Anfang des Hypo-­Desasters stand, ihre Mit- und Hauptverantwortung an jene delegiert, die nun so spektakulär an der Krisenabwicklung scheitern. Chuzpe, wem Chuzpe gebührt!

Und genau deshalb dürfte diese historische Stunde nicht sehr lange dauern. Ihre realpolitische Bedeutung – um nicht zu sagen: Sprengkraft – liegt in einem Negativeffekt: Beglaubigt wird weniger die Stärke der Opposition als der Niedergang der Großen Koalition. Das Kabinett Faymann II steht schon nach 100 Tagen sozusagen vor dem Offenbarungseid. Rot und Schwarz haben ihren ohnehin alles andere als ­üppigen Vertrauensvorschuss von 0,8 Prozentpunkten, mit dem sie seit der Nationalratswahl 2013 über der absoluten Mehrheit liegen, wohl endgültig verspielt. Darüber können sich die gewählten Repräsentanten aller anderen Farbschattierungen, bis hin sogar zu Intimfeinden wie Werner Kogler und Heinz-Christian Strache, ohne Vorbehalte einigen – über viel mehr aber auch nicht. Die Utopie einer produktiv regierten Republik sieht anders aus.

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