Leitartikel von Sven Gächter

Sven Gächter Im Land des Röchelns

Im Land des Röchelns

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Verlierer sehen anders aus. Nach dem SPÖ-Wahldebakel in Oberösterreich (minus 13,38 Prozentpunkte) rang Landesparteichef Erich Haider sich erst nach einigen Schrecksekunden zu der Ankündigung durch, im Vorstand wohl die Vertrauensfrage stellen zu müssen – eine reine Formalität sozusagen. Der Vorstand wiederum hatte am Tag nach der historischen Niederlage nichts Eiligeres zu tun, als den fulminant gescheiterten Spitzenkandidaten mit überwältigender Mehrheit in seiner Funktion zu bestätigen. Haider gab sich zufrieden und kampfeslustig: Selbstverständlich strebe er ein Regierungsamt an. Zwei Tage später fand der unwürdige Spuk ein kleinlautes Ende: Haider trat zwar nicht mit sofortiger Wirkung zurück, bot aber immerhin seinen Rücktritt an – in der frommen Resthoffnung vielleicht, dass dieses Angebot auch abgelehnt werden könnte. So realitätsfremd agiert jedoch nicht einmal die sonst von ziemlich allen Geistern (und Wählern) verlassene SPÖ, aber immer noch planlos-verzweifelt genug, um Haider durch ­einen 63-jährigen Funktionär zu ersetzen, der sich eigentlich schon in die Politpension verabschieden wollte. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Aufbruch zu signalisieren. Dies ist keine davon.

Die Sozialdemokratie hat schon bessere Zeiten erlebt, nicht nur in Oberösterreich. Die Frage, ob es überhaupt noch schlimmer kommen kann, bewegt die Genossen auch anderswo: in Wien, Berlin, London – kurz: in ganz Europa. Wo man hinschaut, liegt ein Projekt in Trümmern, dem die Welt, zumindest die westliche, im 20. Jahrhundert mehr zivilisatorischen Fortschritt verdankte als vermutlich jedem anderen. Es ging um keine geringeren Werte als Aufklärung, Egalität, Solidarität, Wohlfahrt, im Rahmen ­eines demokratisch verfassten Gemeinwesens. Die Erfolgsgeschichte der sozialdemokratischen Bewegung war vorbildlich und international, so wie deren Scheitern nun exemplarisch und staatenübergreifend ist – und auch ein wenig ungerecht: Die S-Parteien werden allenthalben dafür bestraft, dass ihre ureigenen Anliegen inzwischen Allgemeingut sind. Die Geschäftsgrundlage hat sich sozusagen erübrigt, weil sie weitgehend umgesetzt wurde. Damit entfällt offenbar auch automatisch jede weitere Existenzberechtigung, wie die jüngsten Wählervoten in Österreich und Deutschland oder aktuelle Umfragen, zumal in Großbritannien, nahelegen. Die Sozis haben allem Anschein nach ausgedient, niemand braucht, niemand schätzt, niemand wählt sie mehr. Was wollen sie eigentlich noch?

Ja, was denn?! Das wissen sie in Wahrheit selbst schon lange nicht mehr. Sie haben es in den vergangenen zehn, zwanzig Jahren sträflich verabsäumt, ihr Profil und ihr Selbstbewusstsein politischen Mitbewerbern gegenüber zu schärfen, die einerseits genuin sozialdemokratische Positionen vertreten, weil sie ohnehin Common Sense sind, andererseits aber die strukturelle Trägheit der Roten gnadenlos auszunützen verstehen. Diese wiederum haben nicht erst seit Kurzem wenig mehr zu bieten als seenlosen realpolitischen Opportunismus und eine Überdosis Larmoyanz, wenn sie damit ­wenig Terrain – und schon gar keine Wahlen – gewinnen.

Paradoxerweise crasht die Sozialdemokratie ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, da ihre historischen Errungenschaften vor dem Hintergrund einer globalen Wirtschaftskrise unverhohlen infrage gestellt werden. Das Erfolgsmodell des freiheitlichen, solidarischen Wohlfahrtsstaates ist massiv bedroht. Verteilungsgerechtigkeit gilt als Luxus, den man sich nicht mehr leisten kann (oder mag), und humanitäre Agenden gehen im Generalklima offener Ausländerfeindlichkeit klaglos zuschanden. Die Gegenstrategie der Genossen? Stammeln und stolpern.

Das ganze Elend allein auf stromliniengeföntes Führungspersonal zu reduzieren wäre einfach, aber billig – Lemuren treiben sich auch in anderen Parteien zuhauf herum. Die Misere wurzelt tiefer: Die Sozialdemokraten schaffen es nicht, anderen ihre weltanschauliche und gesellschaftspolitische Unverzichtbarkeit zu kommunizieren, weil sie schon viel zu lange nicht mehr ernsthaft und produktiv darüber nachdenken, worin ihre Unverzichtbarkeit im Grunde besteht, und zwar und insbesondere heute noch. Für dieses Versäumnis gibt es keine Entschuldigung. Es manifestiert sich in der Verstocktheit eines Herrn Haider, in der Apathie eines Herrn Faymann oder in der endzeitlichen Hauruck-Euphorie der Herren Steinmeier und Müntefering am Wahl­abend in Deutschland nach dem größten Fiasko der SPD-Geschichte. Nichts deutet darauf hin, dass die Genossen aus dem existenziellen Schrecken mehr gelernt haben, als ihn tapfer und möglichst rasch zu verdrängen. Man brauchte die Sozialdemokratie eigentlich dringender denn je. Aber wenn sie das nicht selbst kapiert, kann man ihr wohl auch nicht helfen.

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Sven   Gächter

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