Sven Gächter

Sven Gächter Kontextualisierungstrottel

Kontextualisierungstrottel

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Es ist das Verdienst von MAK-Direktor Peter Noever, der österreichischen Öffentlichkeit die erste Kulturkontroverse seit längerer Zeit beschert zu haben: Die in seinem Museum gezeigte Propagandakunst aus Nordkorea lässt niemanden kalt, der ungefilterter stalinistischer Plan­ästhetik wenig Lustgewinn abtrotzen kann. Es ist das Verdienst der aufgeklärten Medien, diese Veranstaltung in ihrer Anrüchigkeit gewürdigt zu ­haben. Das unbestrittene Verdienst der nominellen Qualitätszeitung „Der Standard“ wiederum bestand darin, die Absurdität eines aus den ­Rudern gelaufenen Schein­diskurses geradezu exemplarisch abzubilden.

„Das Wiener MAK zeigt – erstmals in diesem Umfang – zeitgenössische Kunst aus Nordkorea“: Unter diesem ebenso inhaltsfreien wie sedierenden Vorspann segelte eine Ausstellungskritik, deren af­firmativer Gestus jenen der MAK-Kuratoren noch zu überstrahlen suchte. Den Verantwortlichen sei es gelungen, „eine Produktion einsehbar zu machen, noch ehe die Kapitalkraft der Verklärung einsetzen kann“. Derlei Geschwurbel verdeutlicht in der Regel vor allem eines: Die Kapitalkraft der Verklärung hat jeden kritischen Verstand vernebelt.

Um die Brisanz des Themas nicht vollends auszublenden, führte „Der Standard“ auf der Kommentarseite alibihalber ein Pro/Kontra-Geplänkel ab. Kulturchefin Andrea Schurian watschte, gewohnt hemds­ärmlig in Stil und Argumen­tation, jene „schlichten Gemüter“ her, die sich weigern, das realpropagandistische Substrat der MAK-Schau zu ignorieren. Ein gängiger rhetorischer Kniff: Man verunglimpft die Proponenten abweichender Meinungen pauschal als ­Trottel, fachunkundige Idioten.

Wie ein solcher musste sich auch der arglose Autor fühlen, der die Gegenposition einnahm und der nordkoreanischen Weihestunde im MAK, vollkommen zu Recht, jegliche „Kontextualisierung“ absprach – ohne sich in der Folge dagegen wehren zu können, dass Schurian den Begriff dankbar aufnahm und flott als „Unwort des Jahrzehnts“ punzierte.

Abgesehen von einer unverhältnismäßig rüden Auslegung kollegialer Umgangsformen manifestiert sich darin eine ­zutiefst fragwürdige Geisteshaltung, jene nämlich, die nicht zuletzt der MAK-Ausstellung zugrunde liegt: Wer sich kontextfrei keine Meinung bilden will, ist auch zu dumm für eine Gegenmeinung. Zu dumm, dass „Der Standard“ kein Museum betreibt.

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