Der Verdacht liegt nahe, dass Helmut Schmidt seinen Glaubwürdigkeitskredit ­verspielt haben könnte

Sven Gächter - Mediamarkt: Helmut Schmidt

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Seit dem 1. Oktober 1982, dem Tag seiner Abwahl als Bundeskanzler, arbeitet Helmut Schmidt beharrlich und erfolgreich wie kein anderer Deutscher am Pilotprojekt der Monumentwerdung zu Lebzeiten. Mittlerweile steht er kurz vor seinem 96. Geburtstag und erfreut sich, den weit fortgeschrittenen Altersumständen entsprechend, zwar nicht bester Gesundheit, dafür aber einer Autorität, deren Unantastbarkeit fast schon spirituelle Dimensionen entwickelt hat. Was immer er über die Weltpolitik im Allgemeinen oder Besonderen dahinschnoddert, wird umstandslos auf die vom Weihrauch der Mentholzigaretten umflorte Goldwaage gelegt. Doch in den offiziösen Chor der kollektiven Ehrerbietung mischen sich neuerdings vernehmbar schrille Misstöne: Eine neue Biografie unterstellt Schmidt in seiner Zeit als Wehrmachtsoffizier eine ausgeprägte NS-Affinität, und der frühere Willy-Brandt-Vertraute Klaus Harpprecht bescheinigt dem späteren SPD-Granden in freimütigen Interviews Großmannssucht, heuchlerische Doppelmoral und miserable Manieren. „Viele von denen, die ihn näher kennen, denken wenig vorteilhaft über ihn“, schreibt Jan Fleischhauer auf „Spiegel“-online. Die Majestätsbeleidigungen häufen sich, und zwar so auffällig, dass der Verdacht naheliegt, Helmut Schmidt könnte seinen vermeintlich unbegrenzten Glaubwürdigkeitskredit überreizt und vielleicht sogar bald verspielt haben. Es wäre das triste Ende einer umjubelten Karriere als Elder Statesman, wenn es irgendwann nur mehr heißen sollte: Der Alte nervt.

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Sven   Gächter

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