Sven Gächter

Sven Gächter Schmerz, Satire, Ironie

Schmerz, Satire, Ironie

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Das konstitutive rhetorische Merkmal der Politik in Österreich ist die Flapsigkeit, zielsicher angesiedelt auf der nach allen Seiten offenen Trichterskala zwischen dumm und dreist. Finanzministerin Maria Fekter zog sich den Unmut von Jean-Claude Juncker, dem Vorsitzenden der ­Euro-Gruppe, zu, als sie vorschnell die geplante Erweiterung des Euro-Rettungsschirms ausplauderte und damit die von ihm eigens für die Bekanntgabe dieser Maßnahme anberaumte Pressekonferenz abschoss. So reagieren machtversessene Männer halt, wenn sie in ihrer Eitelkeit gekränkt werden, hieß es in der Folge mit wegwerfender Nonchalance. Die ihrerseits sicherlich von keinerlei eitler Öffentlichkeitsversessenheit angekränkelte Ministerin suchte den atmosphärischen Flurschaden zu begradigen, indem sie zu einem höchst eigenwilligen Stilmittel griff: der potenzierten Indiskretion. Sie habe durchaus Verständnis für Junckers Groll; ­immerhin sei er, wie sie von ihm selbst wisse, wegen Nierensteinen in stationärer Behandlung und entsprechend indisponiert gewesen. Alles easy und shortly sozusagen: Schmerz, Satire, Ironie – keine tiefere Bedeutung.

Man soll die Kirche zwischendurch auch mal im Dorf lassen und vom politischen Personal, bitte schön, nicht erwarten, dass es sich bei allem, was es so daherplappert, wenn der Tag lang und hart ist, immer etwas Besonderes gedacht hat. August Penz zum Beispiel, FPÖ-Spitzenkan­didat für die Gemeinderatswahl in Innsbruck, fiel aus allen Wolken, als sein Plakatslogan „Heimatliebe statt Marokkaner-Diebe“ den beabsichtigten Aufmerksamkeits- und Empörungseffekt erzielte. Ganz gegen die gängige blaue PR-Praxis – und vor allem gegen die Propaganda-Hardliner in Wien – gab Penz sich zerknirscht und ließ, wohl auch vor Schreck über die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen ­wegen des Verdachts der Verhetzung, die inkriminierten Plakate überkleben.

Welcome back am Nullpunkt der österreichischen Innenpolitik! Die FPÖ provoziert zwanghaft, und die Öffentlichkeit diskutiert pflichtschuldig. Das ist so wenig neu oder überraschend wie der Umstand, dass die Debatte auf einer Metaebene geführt wird, die der blauen Wählerklientel so fremd und abartig erscheinen dürfte wie die Vorstellung, sämtlichen Ausländern die hiesige Staatsbürgerschaft anzutragen, dotiert mit einem steuerfreien 1000-Euro-Einstandsbonus. Offenbar mürbe gemacht durch den strapaziösen Entrüstungstribut, verlegen Teile der meinungsbildenden Elite sich seit Längerem darauf, einen Konsens der schulterzuckenden Ignoranz zu predigen: Wer die FPÖ-Kampagnen reflexartig verteufle, gehe nur deren sinistrem Kalkül auf den Leim. Andreas Koller schreibt in den „Salzburger Nachrichten“ sogar von „nützlichen Idioten (pardon, aber uns fällt kein gelinderer Ausdruck ein)“, die in Wahrheit – unfreiwillig vielleicht, aber beflissen – das Geschäft ihrer Erzfeinde betrieben.

Das ist – pardon, aber uns fällt kein gelinderer Ausdruck ein – grober Unsinn: repräsentativ für jene Denkschule, wonach der Erfolg von Haider, Strache und ihresgleichen vor allen Dingen auf die fieberhafte Erregungsarbeit der gegnerischen Medien zurückzuführen sei. Nach dieser Logik würden rund 30 Prozent der Wahlberechtigten ihr Vertrauen der FPÖ schenken, nur um dem linkspublizistisch konzertierten Antifaschismus in Österreich endlich einmal – oder immer wieder – so richtig eins auszuwischen. Tatsächlich aber bilden diese 30 Prozent (wenn nicht mehr!) eine ideologische Realität in Österreich ab, die keine mediale Bevormundung im Geiste politischer Korrektheit braucht, um sich druckvoll Bahn zu brechen.

Das Geschäft der FPÖ betreibt einerseits am besten ­immer noch die FPÖ selbst, die aus dem Bodensatz unausrottbarer Ressentiments (gegen Ausländer, gegen Europa, kurz: gegen alles vermeintlich Unösterreichische) ihre dauerhafte Existenzberechtigung zieht. Andererseits leisten die früheren Großparteien SPÖ und ÖVP generös Entwicklungshilfe, indem sie koalitionäre Regierungsarbeit hartnäckig dahingehend missverstehen, die Schuldenkrise ängstlich auszusitzen und sich sonst bei jeder Gelegenheit auf Kosten des Koalitionspartners zu profilieren. H. C. Strache kann dieses Schauspiel fortschreitender Selbstdemontage erste Reihe fußfrei mitverfolgen und bis auf Weiteres in der gleichmütigen Ruhe dessen verharren, der am Ende nur aufzusammeln braucht, was die anderen in ihrer Kurzsichtigkeit liegen gelassen haben.

Kampagnenrülpser wie jener in Innsbruck haben rein suggestive Funktion: Sie dienen dazu, dem geneigten Publikum bei Freund und Feind zu signalisieren, dass man die Gangart jederzeit nach Belieben verschärfen kann, von null auf hundert im Handumdrehen. Man sollte der FPÖ nicht den Gefallen tun, darauf nicht zu reagieren – sie käme sonst womöglich auf die Idee, die Gangart von null auf tausend verschärfen zu müssen.

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