Sven Gächter: Schtonk!

Die Demokratie gehört abgeschafft. Sie passt den Erdoğans, Putins und Trumps dieser Welt nicht ins autokratische Konzept.

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Selbstverständlich war der repub­likanische Parteitag in Cleveland, Ohio, ein rauschender ­Erfolg – allen notorischen Nörglern und Spaßbremsen wie Ted Cruz zum Trotz. Mit 1725 Stimmen sicherte sich Donald Trump die Präsidentschaftskandidatur aufs Triumphalste. Seine Frau Melania hielt eine Rede, die Michelle Obama nicht fulminanter hingekriegt hätte – ganz zu schweigen von den berückenden Kurzauftritten der Familiengesandten Tiffany und Donald ­Junior. „Ich bin der Sohn eines großen Mannes“, rief er in die jubelnde Menge. Niemand verstehe die „echten Amerikaner“ besser als Trump Senior, „mein Mentor und bester Freund“. Das Auditorium, ein Amerika-Abbild mit weißer als weiß gewaschenem Echtheitszertifikat, tobte vor Begeisterung. Auch illustre Zaungäste aus Übersee zeigten sich tief beeindruckt. Nigel Farage, scheidender Vorsitzender der EU-feindlichen UKIP-Partei, meinte, er würde ­Hillary Clinton nicht einmal wählen, wenn man ihn dafür bezahlte (was sich für einen ehemaligen Rohstoffhändler keineswegs von selbst versteht). Und der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders zog beziehungsreiche Parallelen: „Was in Amerika passiert, passiert auch in Europa. Die Menschen fühlen sich nicht mehr vertreten.“

Wilders hat recht. Die Demokratien westlicher Prägung werden von einer massiven Legitimationskrise erschüttert, der schwersten ihrer jüngeren Geschichte vielleicht. Beunruhigend große Teile der Bevölkerung haben den Glauben an die Funktionstüchtigkeit des politischen Systems verloren. Das betrifft nicht nur dessen Repräsentanten, sondern in Wahrheit auch die Institutionen selbst. An die Stelle von Vertrauen – dem wichtigsten Schmiermittel für das Räderwerk der Demokratie – sind Frustration, Verbitterung und Zorn getreten. Der Überdruss am herrschenden Gesellschaftsmodell ist kein neues Phänomen; in ruhigeren Zeiten zeitigte er demografisch vernachlässigbare Nebenwirkungen zwischen Indifferenz und Apathie. Mittlerweile jedoch diktiert blanke Wut den politischen Tarif. Sie richtet sich gegen alle, die, weil sie die drängenden Probleme der Gegenwart nicht in Wohlgefallen auflösen können, für diese Probleme verantwortlich gemacht werden: die traditionellen Parteien, die Bürokratie, die Staats- und Regierungschefs, die Europäische Union – kurz: das verhasste Establishment.

Die Wort- und Rädelsführer des zeitgenössischen Wutbürgertums, Brachialpopulisten wie Donald Trump, Geert Wilders, Marine Le Pen, Heinz-Christian Strache, Frauke Petry, nutzen den aufgekratzten Zeitgeist für ein fatales Heilsversprechen: ordentlich durchzugreifen und aufzuräumen, wenn sie erst einmal an der Macht sind. Dummerweise sind die Rahmenbedingungen einer Demokratie für blindwütigen Hauruck-Aktionismus eher hinderlich; sie hemmen den herrischen Elan ganz ungemein. Die neuen Rabiatoren nehmen den zähflüssigen Pluralismus deshalb auch nur so lange missbilligend in Kauf, bis er sie endlich an die Spitze gespült hat. Dann wird gefuhrwerkt, was das Zeug hält – immer mit dem fadenscheinigen Verweis auf die vox populi, die im Zweifelsfall für lähmenden rechtsstaatlichen Firlefanz ohnehin wenig übrighat.

In Wahrheit sind die Erdoğans, Putins und Trumps dieser Welt rücksichtslose Egomanen, die stabile Verhältnisse in genau dem Maße anstreben, in dem dadurch ihre Machtbasis untermauert wird.

Wie atemberaubend schnell es so weit kommen kann, ist am Beispiel von Recep Tayyip Erdoğan idealtypisch zu studieren. Binnen eines Jahrzehnts mutierte er vom vermeintlich freisinnigen Hoffnungsträger zum lupenreinen Autokraten, dem der gescheiterte Militärputsch vom 15. Juli offenbar als höchst willkommener Vorwand dient, die Türkei brutal auf Linie zu bringen. Mit der Verhängung des Ausnahmezustandes hat er die letzten lästigen Hürden auf dem Weg zu einem ganz auf seine Person zugeschnittenen Sultanat weggeräumt. Selbst die jeder alarmistischen Routine unverdächtige „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ sieht das Land schnurstracks „in eine Diktatur abrutschen“.

Die bis heute gültigste, weil aberwitzigste Fallstudie neuzeitlichen Cäsarenwahns stammt von Charlie Chaplin. Als tomanischer Tyrann Adenoid Hynkel redet er sich in „The Great Dictator“ (1940) bei einer Massenkundgebung ungebremst in Rage: „Demokrazie – Schtonk! Liberty – Schtonk! Free sprecken – Schtonk!“ Darin liegt, krude und knapp, die Essenz der autokratischen Denkungsart. Es ist das Mantra aller Scharfmacher, die den Globus derzeit unsicher machen. Das erscheint umso paradoxer, als sie vor allem an die Sehnsucht der Menschen nach Sicherheit appellieren, um ihre eigenen Machtansprüche zu rechtfertigen. In Wahrheit sind die Erdoğans, Putins und Trumps dieser Welt rücksichtslose Egomanen, die stabile Verhältnisse in genau dem Maße anstreben, in dem dadurch ihre Machtbasis untermauert wird. Wenn sie von „Recht und Ordnung“ schwadronieren, so wie Donald Trump bei seiner Parteitagsrede, beziehen sie unmissverständlich Position gegen die Freiheit – deren Abschaffung hat oberste Priorität im despotischen Kalkül. Dass trotzdem so viele Menschen verzückt an ihren Lippen hängen, ist das Krebssymptom einer zutiefst verrückten Zeit.

Sven   Gächter

Sven Gächter