Sven Gächter

Sven Gächter Senderpausen

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Man war auf höherer Ebene allem Anschein nach der Ansicht, sich mal wieder etwas ganz Besonderes einfallen lassen zu müssen. Also gab man ein extrakarges Studio­design in Auftrag, nicht ohne vermutlich mehrmals die Devise „21. Jahrhundert“ zu bemühen. Dann saßen Rainer Pariasek und ein gewisser Benny Hörtnagl in einer khaki­bräunlichen Polstergruppe Marke XXXLutz-Futurismus und quälten sich und ihr sehr überschaubares Publikum (216.000 Seher, elf Prozent Marktanteil) durch die
WM-­Eröffnungsgala am vergangenen Donnerstag. Der Allzweck-Sportfex des ORF und das Ö3-Bürschchen tauschten plan- und pointenfrei Banalitäten aus („Juanes ist quasi der männliche Shakira“), bis ihnen quasi die weibliche Original-Shakira mit dem offiziellen WM-Song „Waka Waka“ hörbar die Sprache verschlug. Und jetzt, stammelte Pariasek, „das Finale, wo noch einmal alle Interpreten …“. Den Satz womöglich zu einem sinnstiftenden Ende zu bringen war durch die ORF-Gebührenregelung offenbar nicht abgedeckt.

Am Vorabend hatte Danielle Spera ihren letzten Auftritt als „ZiB 1“-Moderatorin („Anchorwoman“ heißt es im neudeutschen Fachjargon) absolviert und aufgrund akuten Heiserkeits- und Tränenaufkommens das Wort gleich an ihren Kollegen weitergegeben: „Tarek, übernimm du.“ Erst zum Schluss war sie wieder hinreichend gefestigt, um sich „tausendmal“ bei den Zuschauern zu entschuldigen – wo doch ein einziges Mal auch schon vollauf genügt hätte.

Es sind solche Momente, die dem ORF eine Aura der Menschlichkeit verleihen, und nichts kleidet den ORF in seiner aktuellen Verfassung passender als diese Aura. Die führende Medienanstalt des Landes durchläuft die schlimmste Krise ihrer an Krisen nicht armen Geschichte. Die Politik klopft sich den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nach ­Belieben zurecht wie ein grobschlächtiger Fleischer ein besonders zähes Rinderfilet. Die Kernzielgruppen desertieren in Scharen, die Werbewirtschaft wird immer bockiger, und die Privatmedien schwanken zwischen Besorgnis und Schadenfreude, wobei sie es mit der Trennschärfe zwischen diesen Grundhaltungen durchaus nicht so genau nehmen.

Dass auch Dominic „Chili“ Heinzl den ORF nicht aus seinem Jammertal herausmanövrieren konnte (was außer ihm selbst und Generaldirektor Alexander Wrabetz ohnehin niemand ernsthaft erwartet hatte), trägt zur anstaltsinternen Grabesstimmung bei, ebenso wie das neue ORF-Gesetz, das am 18. Juni im Parlament verabschiedet werden soll. Es sieht einige empfindliche Einschnitte vor allem im Online-Bereich vor – mit den entsprechenden Nachteilen bei der Lukrierung von Werbeumsätzen. Redakteursratsvorsitzender Fritz Wendl protestierte umgehend und aufs Schärfste: Die Reformpläne seien „weder mit dem gesetzlichen Informationsauftrag des ORF noch mit journalistischer Professionalität und schon gar nicht mit zeitgemäßem Medienverständnis vereinbar“.

Wendl spendete damit, ohne es in dieser Form wohl zu beabsichtigen, ein wertvolles Stichwort: Professionalität. Seit Jahrzehnten arbeiten die ORF-Verantwortlichen sich sisyphusgleich ­daran ab, der notorisch engstirnigen und provinziellen Tagespolitik das ungeteilte Recht auf Professionalität abzutrotzen, immer wieder und immer wieder mehr oder weniger erfolglos. Im Zuge dieser aufreibenden Selbstbehauptungsscharmützel droht allerdings ein essenzielles Bewusstsein verloren zu gehen: dass es auch eine Pflicht zur Professiona­lität gibt, die in dem Maße schlagend wird, in dem sie das einschlägige Grundrecht voraussetzt und einfordert.

Das ORF-Biotop neigt – mitunter aus guten Gründen – zur Wehleidigkeit, wenn es um die Diskussion seiner Arbeitsbedingungen geht. Zur Selbstkritik neigt es nicht. Übergeordnete Strukturprobleme bieten keine stichhaltige Entschuldigung für inhaltliche Defizite, die den Legitimationsanspruch des Senders zum Teil dramatisch unterhöhlen: stromlinienförmige Konzeptlosigkeit in der Unterhaltung; zum Teil eklatante handwerkliche Mängel im Informationsbereich, vor allem in der „ZiB 1“, dem so genannten Nachrichtenflaggschiff der Republik; uninspirierte, duckmäuserische Diskussionskultur; analphabetische Tendenzen in der Sportberichterstattung – von dem aggressiv-­privatwirtschaftlichen Werbegebaren und den alles andere als immer streng öffentlich-rechtlichen Online-Aktivitäten ganz ­abgesehen.

Nichts würde den ORF nachhaltiger beschädigen als ein Dauerspagat zwischen Larmoyanz und Dilettantismus, doch man gewinnt den Eindruck, als richte man sich am Küniglberg gelegentlich ganz gern und bequem in diesem Spagat ein, weil er von vielem ablenkt, unter anderem davon, dass die permanenten Zumutungen der Medienpolitik kein alles begradigendes Alibi für ungenügende Performance darstellen. Es ist das Recht – und die Pflicht – des ORF, sich ein solches Alibi zu verbitten.

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