Überlebensmittel oder überlastete Kläranlage der Demokratie?

80 Jahre nach der Wiedergeburt der Pressefreiheit wurde viel über politische Rahmenbedingungen diskutiert. Doch die entscheidende Frage richtet sich an uns selbst: Sind wir bloß Konsumenten oder Medienmitinhaber?

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Vor 80 Jahren erschien in Österreich die erste Zeitung der Zweiten Republik. Nach Jahren von Propaganda und Zensur war das ein elementarer Bestandteil eines demokratischen Neubeginns.

Heute ist die Frage, ob wir diese elementare Freiheit behalten. Die Geschichte lehrt: Wo Wahrheit zur handelbaren und verhandelbaren Ware und Kritik oder Satire zur Bedrohung wird, beginnt die Erosion der Demokratie. Wer heute über Demokratie spricht, muss über Journalismus sprechen. Nicht über Klickzahlen oder Geschäftsmodelle, über die tägliche Knochenarbeit: das Recherchieren und Fakten checken, das unerschrockene Offenlegen von Machtmissbrauch.

Angriffe auf Medien sind keine Randerscheinung. Autokraten wissen, was sie tun, wenn sie Redaktionen einschüchtern, die Finanzierung einschränken oder – heute allerorts beliebter – von befreundeten Oligarchen aufkaufen lassen. Wer Informationskanäle kontrolliert, kann Wahrnehmung verbiegen, Aufmerksamkeit lenken, Menschen verstummen lassen.

Medien sind nicht irgendeine Branche, sondern demokratische Infrastruktur. Wo Medienwüsten entstehen, bleibt kein leerer Raum. Die ausgetrockneten Flure werden von Propagandakanälen geflutet. In diesem Umfeld sind Qualitätsmedien gegenwärtig von Instrumenten der Aufklärung zunehmend zu Kläranlagen der Demokratie geworden. Sie sortieren und räumen auf, was als Flut an Falschmeldungen, Verschwörungstheorien und Hetzkampagnen durch Social-Media-Kanäle auf unsere Mobiltelefone gespült wird. Der Motor der Kläranlagen stottert. Seit der Jahrtausendwende ist ein Drittel der journalistischen Jobs verloren gegangen. Weitere Kündigungen stehen an. Auch darum beginnt es in unseren Demokratien immer strenger zu riechen.

Dafür können wir nicht Journalisten verantwortlich machen. Pressefreiheit war nie deren Privileg, sondern ein Bürgerrecht. Sie garantiert, dass niemand den öffentlichen Raum allein beherrschen darf. Demokratie ist keine Zuschauerveranstaltung. Wir alle sind nicht bloß Medienkonsumenten, sondern Teilhaber dieser demokratischen Infrastruktur. Ein Abo ist ein Akt staatsbürgerlicher Selbstermächtigung und eine Investition in die Stärkung der Demokratie.

Noch nie hatten wir so viel interessante und gute Information in so vielen Formaten zur Verfügung. Zeitungen, Podcasts, Videoblogs etc. Wir können uns lange Artikel während des Laufens, in der Straßenbahn oder beim Kochen vorlesen lassen. Aber nur, wenn es Menschen gibt, die wir als Medienteilhaber dafür bezahlen, damit sie uns mit diesem Lebensmittel der Demokratie versorgen.

Haben Sie Anne Applebaums großartige letzte Analyse in „The Atlantic“ gelesen? Oder den bösartigen Problembefund in der „Financial Times“ „The world ist run by old men in a hurry“? Den jüngsten Podcast von „Inside Austria“ („Spiegel“ und „Der Standard“) oder die letzte messerscharfe Kolumne von Anneliese Rohrer in der „Presse“? Die viel kopierte Originalrecherche von Edith Meinhart über die drei widerständigen Nonnen in „Die Dunkelkammer“ oder das Interview mit dem Historiker Timothy Snyder in „Datum“? Ich habe auch nicht alle gelesen. Ich habe sie zu Hause am Wohnzimmertisch oder am Computer und freue mich darauf, sie jederzeit lesen und hören zu können. Auch wenn ich das vielleicht nie mache, bin ich froh, dass es sie gibt. Sie recherchieren und formulieren Gedanken über das, was mir wichtig ist. Ich zahle dafür einen finanziellen Beitrag. Es ist mein Beitrag für das Recht, mir frei eine Meinung bilden zu können. Wenn Sie diese Kolumne lesen, tun Sie das auch.

Guter Journalismus – wie hier im profil – ist ein Lebensmittel der Demokratie, und in Zeiten, in denen Wahrheit zur Verhandlungsmasse wird, sogar ein Überlebensmittel. Ein zusätzliches Abo zu Weihnachten wäre also für Menschen, die Sie mögen, ein persönliches Geschenk mit einem hohen Kollateralnutzen für uns alle. Vielleicht denken Sie dran, wir könnten sonst in den kommenden Jahren eine schöne Bescherung erleben.

Stefan Wallner

Stefan Wallner

war Generalsekretär der Caritas Österreich und von 2009 bis 2016 Generalsekretär der Grünen. Danach war er bis 2020 Head of Brand Management and Company Transformation bei der Erste Group. Heute ist er Geschäftsführer des Bündnis für Gemeinnützigkeit – der 2022 gegründeten Interessenvertretung des gemeinnützigen Sektors und der Freiwilligenorganisationen.