Der Fluch der Folter

Georg Hoffmann-Ostenhof: Der Fluch der Folter

Der Fluch der Folter

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Man hat es ja schon gewusst. Immer wieder kamen Informationen über die brutalen Verhörmethoden der CIA an die Öffentlichkeit. Und dennoch schockiert der vergangene Woche herausgekommene Senatsbericht. Er schildert im Detail, wie Agenten des amerikanischen Geheimdienstes nach den Anschlägen des 11. September 2001 mehrere Jahre hindurch folterten – systematischer und perfider, als bisher angenommen.

In der 500-seitigen Kurzfassung wird ein Panorama des Grauens gezeichnet: Vermeintliche Terrorverdächtige wurden bis zur Bewusstlosigkeit gequält, manche über eine Woche lang wach gehalten, mit Lärm oder extrem lauter Musik beschallt, ohne medizinische Notwendigkeit „rektal gefüttert und rehydriert“ und mittels „Waterboarding“ an den Rand des Ertrinkens gebracht. Auch drohte man einigen Häftlingen, sie hinzurichten.

Wenn die Senatsuntersuchung zudem nachweist, dass – entgegen den Angaben der für das Ungeheuerliche Verantwortlichen – die erklärte Folter in keinem einzigen Fall auch nur irgendwelche brauchbaren Informationen für den Kampf gegen den Terror zutage förderte, dann stellt sich noch dringender die Frage: Wie konnten die USA so tief sinken, was bedeutet dieser Rückfall in die Barbarei?

Zweifellos werden nun die notorischen Feinde Amerikas, die rechten und linken Anti-Liberalen aller Länder, die islamischen Fundis und die heimlichen und unheimlichen Putin-Anhänger triumphieren: Sie hätten ja immer schon gewusst, dass der Satan amerikanisch spricht, dass das Böse über den Atlantik kommt. Jene aber, die weniger von Ressentiments getrieben sind, mögen Folgendes bedenken: Die USA bringen es zustande, sich mit den dunklen Seiten ihrer Vergangenheit offen auseinanderzusetzen – nicht 30 oder 40 Jahre danach, sondern bereits nach ganz kurzer Zeit. Welches andere Land kann Ähnliches vorweisen? Wie lange dauerte es anderswo doch, wenn es darum ging, die bösen Seiten der eigenen Geschichte aufzuarbeiten. Wir Österreicher wissen das am besten.

Als Barack Obama 2008 ins Weiße Haus einzog, war eine seiner ersten Amtshandlungen die Entsorgung all jener Verordnungen, Rechtsgutachten und gesetzlichen Bestimmungen, die „verschärfte Verhörmethoden“ von Gefangenen für legal erklärten. Und dann machte sich ein Senatsausschuss daran, das, was dessen Vorsitzende, die demokratische Politikerin Diane Feinstein, „einen Schandfleck auf unseren Werten und unserer Geschichte“ nennt, aufzudecken.

Der Senat hat gründlich gearbeitet und den Folter-Bericht veröffentlicht – gerade noch in letzter Minute: Denn in wenigen Wochen werden die Republikaner die Mehrheit in der zweiten Kammer haben. Hätte der Ausschuss gewartet, der Report wäre für alle Zeiten in der Schublade verschwunden. Jetzt ist er da. Und legt ein Zeugnis ab für die Fähigkeit der USA zur Selbstkorrektur und für die immer wieder gezeigten erstaunlichen Selbstheilungskräfte der ältesten existierenden Demokratie.
Die USA finden also aus dem Irrweg der Ära des George W. Bush heraus.

Das ist erfreulich. Wirklich erschreckend wirkt aber, dass die Republikanische Partei, die diesen historischen Fehltritt verantwortet, sich nach wie vor von der Berechtigung und Effizienz der Folter überzeugt zeigt und diese auch im Rückblick verteidigt.

Wenn in einer existenziellen Grenzsituation, wie etwa dem Anschlag des Jahres 2001, Personen, aber auch Systeme, ausrasten und die moralische Contenance verlieren, ist dies zwar nicht zu entschuldigen, verstehen kann man es doch. Wenn aber die Republikaner – mit Ausnahme von John McCain, der einst selbst in den vietnamesischen Gefängnissen gefoltert wurde – heute noch an den grausamen Verhörmethoden festhalten wollen, dann ist das eine gefährliche Drohung.

International wird die Forderung immer lauter, dass die Verantwortlichen für die Missetaten vor Gericht gestellt werden. Und zwar alle in der Befehlskette: von Bush abwärts über seinen einstigen Vize Dick Cheney, den damaligen Pentagon-Chef Donald Rumsfeld, den Justizminister und die zuständigen CIA-Beamten bis zu den furchtbaren Juristen, die in Gutachten den Foltermethoden Rechtmäßigkeit bescheinigten, sowie den Schergen vor Ort, die tatsächlich Hand anlegten. Sicher wäre es wünschenswert, dass diese Täter allesamt angeklagt und verurteilt würden.

Dass Obama wenig Bereitschaft demonstriert, solche Monsterprozesse zu inszenieren, ist freilich verständlich. In der polarisierten Situation, in der sich die amerikanische Politik befindet, würde die konsequente Strafverfolgung der Verantwortlichen das demokratische System wohl endgültig erschüttern. Es könnte kollabieren.

Was also tun? Einen interessanten Ausweg aus diesem Dilemma weist in der „New York Times“ Anthony Romero. Jahrelang hat der Direktor der American Civil Liberties Union, der wichtigsten Bürgerrechtsorganisation der USA, dafür plädiert, die Schuldigen zur Verantwortung zu ziehen. Wenn sie aber, so argumentiert er, in Amerika nicht vor Gericht gestellt werden, so sollte Obama sie zumindest „begnadigen“, ihnen also eine Amnestie für die ihnen vorgeworfenen Straftaten gewähren. So lautet sein paradoxer Vorschlag. Das würde jedenfalls klarmachen, dass Verbrechen verübt wurden. Und dass die Individuen, die real folterten oder Folter autorisierten und befahlen, Verbrecher sind.

Romero: „Eine Strafverfolgung wäre vorzuziehen, aber unter den aktuellen Umständen ist eine Begnadigung wahrscheinlich der einzige gangbare Weg, ein für alle Mal die Folter-Büchse der Pandora zu schließen.“

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Georg Hoffmann-Ostenhof