Wöginger soll Verantwortung übernehmen
Ex-Wirtschaftskammerpräsident Harald Mahrer ist wahrlich kein Politiker, der im Ruf steht, makellos agiert zu haben. Aber eines hat er getan, das in der ÖVP mittlerweile Seltenheitswert hat: Er ist gegangen, als es politisch notwendig war. Nicht aus Edelmut, sondern aus Einsicht (und weil der Druck hoch war). Aber durchaus aus dem Bewusstsein heraus, dass persönliches Festklammern eine ganze Partei beschädigt.
Eben diese Einsicht fehlt Klubobmann August Wöginger. Und sie fehlt der ÖVP, die ihn um jeden Preis hält.
Wöginger muss sich bald erneut wegen des Vorwurfs der Postenschacherei vor Gericht verantworten. 2017 soll er über den damaligen Finanzgeneralsekretär Thomas Schmid einem befreundeten ÖVP-Bürgermeister den Spitzenposten im Finanzamt Braunau-Ried-Schärding verschafft haben. Zuerst bestritt er alles. Das Weiterreichen von Bewerbungsunterlagen sei eine Art „Bürgerservice“ gewesen, argumentierte er.
Dann kippte die Verteidigung – als zwei Mitangeklagte aus der Personalkommission plötzlich im Gerichtssaal in Linz Fehlverhalten zugaben und um Diversion baten. Da wurde die Luft für Wöginger plötzlich dünn. Sein Ausweg: eine bemerkenswert windige Erklärung. Er sehe „die Dinge heute ganz anders als damals vor neun Jahren“. Diese Aussage war einigermaßen verblüffend, denn die Rechtslage hatte sich seit 2017 nicht geändert. Was also will er damals anders gesehen haben als jetzt? Welche Erkenntnis hat Wöginger überraschend gewonnen?
Mea Culpa?
Der ÖVP-Klubobmann freute sich über eine Diversion, zahlte 44.000 Euro und sprach vor Gericht davon, Verantwortung zu übernehmen. Übrigens auch der Linzer Ex-SPÖ-Bürgermeister Klaus Luger bekam gerade vom Gericht eine Diversion angeboten – auch ihm wurde Postenschacherei vorgeworfen. Die Staatsanwalt hat das postwendend abgelehnt. Wie auch immer es für Luger ausgeht: Er ist weg und muss politisch keine Konsequenzen mehr ziehen. Wöginger entschied sich, keine ziehen zu wollen. Kein Rücktritt, nicht einmal als Klubchef, keine Entschuldigung, kein leises Zeichen von Demut. Stattdessen inszenierte die ÖVP die Causa als quasi erledigt, feixte in Richtung Justiz. Man holte sich sogar einen Segen der parteieigenen Ethikkommission, deren Anforderungen offenbar eher bescheiden sind.
Warum dieser Aufwand? Weil Wöginger intern eine Schlüsselrolle spielt. Er gilt als verbindend, als jemand, der in dieser brüchigen Koalition Fäden zusammenhält. Und weil er – anders als andere Parteigranden – tatsächlich persönlich beliebt ist.
Doch die Volkspartei blendet aus, wie fatal das Außenbild ist. In den Sozialen Medien ergossen sich Wellen empörter Kommentare zur Causa Wöginger. Auch innerhalb der Justiz war die Irritation groß: Eine Diversion gehört ans Ende einer gerichtlichen Beweiswürdigung, nicht an deren Anfang. Die demonstrative Selbstgerechtigkeit der ÖVP und ihr präpotent-hämisches Verhalten verschärften die Sache noch weiter.
„Für uns ist die Angelegenheit erledigt“, hieß es. SPÖ-Justizministerin Anna Sporrer dachte nicht daran und ordnete eine Prüfung an. Ergebnis: Das Verfahren wird fortgesetzt. Übrigens bei derselben Richterin. Wöginger erhält (vorerst) sein Geld zurück, aber seine Reputation bleibt angekratzt. Die der ÖVP gleich mit.
Hier liegt der eigentliche Kern: Strafrecht darf nicht der moralische Standard sein, an dem sich die Politik orientiert. Sie muss Vorbild sein – oder sie kann es lassen. Denn eine Gesellschaft hält sich nur an Regeln, wenn diejenigen, die sie machen, sie auch ernst nehmen – und nicht bis zum Exzess auszudehnen und zu drehen versuchen.
Vielleicht wird Wöginger am Ende freigesprochen. Aber der Schaden ist jetzt schon angerichtet, und er ist riesig. Die ÖVP sitzt längst im Marianengraben und schaufelt weiter – wie mein Kollege Rainer Nikowitz es formuliert hat.
Wöginger könnte etwas tun, das in der österreichischen Politik äußerst selten geworden ist: echte Verantwortung übernehmen. Nicht warten, bis das Gericht ein Urteil fällt, sondern handeln, bevor der Schaden irreparabel wird. Man könnte aufhören, alles kleinzureden, Größe zeigen – und tatsächlich Konsequenzen ziehen.