Morgenpost

Das ewig lustige Spiel mit Neuwahlen

Drama, Drohungen, Gerüchte: Kaum eine Regierung hält die volle Legislaturperiode durch. Die ÖVP ist Meisterin im Aufkünden von Koalitionen – mit durchaus wechselndem Erfolg.

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Heute ist es wieder einmal so weit: SPÖ und FPÖ wollen in der Nationalrats-Sitzung wegen, wie sie es nennen, der Untätigkeit der Regierung sofortige Neuwahlen beantragen. Für Oppositionsparteien gehört das zum Routine-Geschäft, für sie ist es quasi Pflicht, die Lebensdauer der Regierung verkürzen zu wollen, besonders deshalb, weil SPÖ und FPÖ gerne nach den Wahlen die Oppositionsbank verlassen und regieren würden. Überraschender ist schon, dass auch die Regierungspartei ÖVP, aufgeregt rapportiert von Boulevard-Zeitungen, derzeit vage Neuwahl-Ideen wälzt. Schon im Mai? Im Juni gemeinsam mit den Europa-Wahlen? Doch im Herbst? Wann ist die Chance am größten, die nach den High-Ergebnissen unter Ex-Superstar Sebastian Kurz unvermeidlichen Wahlverluste im halbwegs erträglichen Rahmen zu halten? Darüber wird in der ÖVP hitzig intern spekuliert.

Beileibe nicht zum ersten Mal. Drohungen, Ultimaten, Dramen und lautes Gemurmel über einen früheren Wahltermin gehören in Österreich zur politischen Folklore. Ganz ohne Cliffhanger ist eine Legislaturperiode kaum vorstellbar. Und die ÖVP ist seit den 1990-er Jahren Meisterin im Aufkünden von Koalitionen – mit durchaus wechselndem Erfolg. Fünf Mal beendete sie seit 1995 eine Legislaturperiode vorzeitig und fuhr bei vorzeitigen Wahlen drei Kanter-Wahlsiege und zwei empfindliche Niederlagen ein.

Am kürzesten hielt Vizekanzler Wolfgang Schüssel durch: Im Herbst 1995 beendete er nach nur 14 Monaten die Koalition mit der SPÖ nach quälenden Debatten über das Budget – und erlebte eine Enttäuschung. Die SPÖ blieb bei den vorzeitigen Neuwahlen mit deutlichem Vorsprung und 38 Prozent auf Platz 1, die ÖVP mit 28 Prozent in der undankbaren Junior-Partnerrolle. Sieben Jahre später ließ Schüssel, mittlerweile Bundeskanzler, nach der FPÖ-Selbstsprengung in Knittelfeld Schwarz-Blau platzen. Diesmal mit Erfolg, die ÖVP saugte FPÖ-Stimmen en masse ab, fuhr mit fast 43 Prozent einen Kanterwahlsieg ein und regierte mit einer geschwächten FPÖ (und deren Abspaltung BZÖ). Im Juli 2008 sprach dann Schüssel-Nachfolger Wilhelm Molterer seine berühmtesten zwei Worte: „Es reicht.“ So begründete er nach nicht einmal zwei Jahren Regierung mit der SPÖ unter Kanzler Alfred Gusenbauer die vorzeitige Neuwahl. Molterers Hoffnung, Platz 1 und das Kanzleramt erobern zu können, erfüllte sich nicht – die ÖVP verlor mehr als die SPÖ, Molterer musste als Parteichef weichen. Zu den wenigen Beschlüssen der Regierung Gusenbauer-Molterer gehörte die Verlängerung der Legislaturperiode auf fünf Jahre – die aber bisher nur eine Regierung durchhielt: Jene aus SPÖ und ÖVP unter Kanzler Werner Faymann und den Vizekanzlern Josef Pröll und Michael Spindelegger.

2017 und 2019 rief Sebastian Kurz vorzeitige Neuwahlen aus – und gewann sie zwei Mal haushoch: 2017 als frischgebackener ÖVP-Obmann, der sich im Kanzlerduell gegen SPÖ-Amtsinhaber Christian Kern durchsetzte. 2019 als erster abgewählter Kanzler, der nach dem Ibiza-Skandal einer Regierung aus Expertinnen und Experten unter Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein hatte weichen müssen. Spätestens seit diesen beiden türkisen Wahlsiegen ist das vermeintliche Polit-Grundgesetz „Wer vorzeitige Wahlen ausruft, verliert sie haushoch“ als falsch enttarnt.

Das weiß auch die Wiener SPÖ: Die mächtige Stadtpartei ließ zwei Mal aus taktischen Gründen vorzeitig wählen – im Frühjahr 2001 trug der Unmut über Schwarz-Blau im Bund die Wiener zum Wahlsieg und zurück zur absoluten Mehrheit. Die Wiener SPÖ regierte fortan mit sich allein – und schaffte im Herbst 2005 trotzdem das Kunststück, die Legislaturperiode auch ohne Koalitionspartner vorzeitig zu beenden, mit der treuherzigen Versicherung, einen „teuren Wahlkampf zu vermeiden“. Das Ergebnis: Ein Plus und eine deutlichere absolute Mehrheit.

Eine Regel, wer vorzeitige Wahlen gewinnt, lässt sich aus dieser Geschichte der vorgezogenen Wahlen nicht ableiten. Fest steht nur: Wenn Schwarz-Grün bis zum Ende der fünfjährigen Legislaturperiode durchhält, wäre diese erst die zweite Bundesregierung, der das gelingt.

Bleiben Sie dran, das nächste Neuwahl-Gerücht kommt bestimmt.

Haben Sie einen schönen Tag!

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin