Skipiste von der Hohen Salve nach Hopfgarten im Brixental, aufgenommen am Dienstag, 13. Februar 2024.
Morgenpost

Frieren Sie schon?

Der Klimawandel ist und bleibt widersprüchlich. Eine neue Studie verheißt jetzt Abkühlung in Europa. Das ist leider keine gute Nachricht – aber auch nur ansatzweise das, was in der Studie steht.

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Nach dem Aschermittwoch kommt unweigerlich der Gründonnerstag. Wie zahlreiche Winterurlauber bezeugen können, findet dieser in den meisten tiefergelegenen Skigebieten Österreichs bereits heute statt (das Original dann laut Kirchenjahr am 28. März). Schuld ist natürlich der Klimawandel, der die durchschnittliche Schneelage im Alpenraum stark reduziert, teilweise schon bis an die touristische Schmerzgrenze. 

Nun kam zu dem Thema aber vor einigen Tagen eine Studie heraus, die just das Gegenteil verheißt, nämlich erhebliche Kälteperioden in Europa. Das Aufsehen war verständlicherweise groß, Seilbahnbetreiber müssen jetzt trotzdem stark bleiben: Bei genauer Lektüre ist es erstens viel komplizierter und zweitens gar keine gute Nachricht.

In der jüngsten Ausgabe des Fachblatts „Science Advances“ berichtet ein Team von Klimaforschern der Universität Utrecht von den Ergebnissen einer komplexen Modellrechnung: Die Atlantische Umwälzzirkulation, alias Atlantic Meridional Overturning Circulation (AMOC), eine Art Umwälzpumpe globalen Ausmaßes, bewegt sich auf einen kritischen Kipppunkt zu. Durch das Abschmelzen arktischer Eismassen könnte dieses Strömungssystem, zu dem auch der Golfstrom gehört und das die klimatischen Verhältnisse auf der Nordhalbkugel maßgeblich beeinflusst, schon in diesem Jahrhundert zusammenbrechen – was massive und rasante Temperaturrückgänge in Europa zur Folge hätte, teils im Ausmaß von mehr als drei Grad Celsius pro Jahrzehnt. 

Die medialen Berichte, die dieser Meldung folgten, fielen leider teils eher verkürzt und teils stark verzerrt aus. Zwischen „Aha, Erderwärmung doch nicht so fix!“ und „Europa erfriert!“ liegt ein weites Feld, und nein: es muss nicht zwangsläufig Schnee darauf liegen. Tatsächlich modellieren die holländischen Forscher in ihrer Studie kein konkretes Überschreiten des Kipppunkts, sondern etablieren vor allem eine physikalische Messgröße dafür (nämlich die Menge des transportierten Süßwassers im Südatlantik), also im Sinne eines Vorwarn-Systems. Noch läuft die AMOC. Aber tatsächlich zeigt die neue Modellrechnung, dass das System fragiler ist, als bisherige (statistische) Rechnungen nahelegten. 

Wir lernen: In Klimafragen sind Prognosen selten sicher. Trotzdem sei hiermit eine gewagt: Die kommende Ausgabe des profil-Podcasts „Tauwetter“ wird noch mehr Licht in die Sache bringen. Darin sprechen Franziska Dzugan und Christina Hiptmayr mit dem Grazer Klimaforscher Douglas Maraun über die neue AMOC-Studie, klimatologische Kipppunkte und was zu deren Vermeidung passieren muss. Die Folge geht am kommenden Sonntag online, bitte freuen Sie sich darauf schon jetzt möglichst angemessen, also zum Beispiel wie ein Seilbahnbetreiber aufs nächste Weihnachtsgeschäft (laut Ferienkalender ab 24. Dezember)!

 

Sebastian Hofer

Sebastian Hofer

schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur, ist seit 2020 Textchef dieses Magazins und zählt zum Kernteam von faktiv.