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„Irgendjemand muss es ja sagen“

Der ehemalige Justizminister Clemens Jabloner analysiert den Vertrauensverlust in der Politik und macht autoritäre Tendenzen in der Regierung Kurz l dafür verantwortlich.

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Es liegt etwas in der Luft: Eine Sehnsucht nach Authentizität, Wahrhaftigkeit und Anstand. Institutionen arbeiten ihre Geschichte auf und gehen der Frage nach, warum sich einige in der Zeit des Nationalsozialismus nicht brechen ließen und  so viele sich anpassten. Welche Rolle spielen dabei Zeitgeist, Struktur und Charakter?

Bei einem Symposion des Boltzmann-Instituts für Menschenrechte vergangene Woche herrschte bedrückte Stille im Saal, als Ursula Schwarzer vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands aus NS-Justizakten vorlas. Eine Frau kam unters Schafott, weil sie in einem Feldpostbrief an ihren Bruder über den Krieg geschimpft hatte. Eine Jugendliche musste sterben, weil sie Flugblätter verteilt hatte. „Volksschädling“, „Wehrkraftzersetzung“, „Feindsender hören“, hießen die Delikte und das Regime und seine Gesetze waren nicht über Nacht entstanden.

Es folgte eine Podiumsdiskussion über „Vertrauen in Politik und Rechtsstaat“ und der ehemalige Justizminister der nach der Ibiza-Krise eingesetzten Übergangsregierung, Clemens Jabloner, analysierte den Tiefpunkt staatlichen Handels in der Regierung Kurz I, den Versuch, über Generalsekretäre die Beamtenschaft an die politische Leine zu nehmen und andere Zumutungen. Ein Auszug aus seiner Rede:

„Die Anfänge dieser Entwicklung liegen sehr weit zurück. Das sind historische Vorgänge, die irgendwann einmal kumulieren und aus meiner Sicht in der Regierung Kurz I ihren Höhepunkt erreichten. Drei Ereignisse der letzten Jahre sehe ich als symptomatisch:  

  • Den Überfall auf das Bundesamt für Verfassungsschutz im Jahr 2018. In einem zentralen Bereich der staatlichen Tätigkeit haben damals sowohl die Sicherheitsbehörden als auch die Staatsanwaltschaft und die kontrollierende Strafjustiz versagt. Der Ausgangspunkt für viele weitere Krisen.
  • Das zweite Vorkommnis  war für mich die politisch durchgesetzte gestaffelte Familienbeihilfe. Dass eine Regierung, die über hochbezahlte, erstklassige Juristen im Verfassungsdienst  und im Völkerrechtsbüro verfügt, die alle unisono sagten, die gestaffelte Familienbeihilfe -  (in Österreich arbeitende Menschen aus ärmeren Ländern sollten weniger Familienbeihilfe bekommen, Anm. d. Red.) werde EU-rechtlich nicht halten, trotzdem einen Experten engagiert, der ein willfähriges Gutachten schreibt, nach dem der Allerärmste noch zu reich erscheint, das halte ich für einen gröberen Missstand.
  • Das dritte, vielleicht schlimmste, ist die Steuersache des Herrn Siegfried Wolf. Dass ein österreichischer Wirtschaftstreibender zur Behandlung seiner Steuersache sich mit einer Abteilungsleiterin des Finanzministeriums in einer Raststätte trifft, ist unerhört.

Man kann der österreichischen Verwaltung vieles vorwerfen - Das haben wir immer schon so gemacht, da könnt ein Jeder kommen - aber zwei Dinge standen immer außer Streit: es gab keine systemische Korruption, und eine hohe Fachkompetenz war gewährleistet.

Doch in der Regierung von Kurz I waren die Kabinette aufgebläht, mit oft wenig qualifizierten Personen, die gleichzeitig Gruppenleiter im Ministerium wurden, besetzt. Höhepunkt war die Installierung von Generalsekretären, die von der Politik gegen den Beamtenapparat in  Stellung gebracht wurden. Ein Mitglied der Bundesregierung hat mir einmal gesagt, dass damit der Minister im Schmutz herumwühlen und die parteipolitischen Agenden durchkriegen kann. Eine solche Vermischung ist gefährlich, weil sie problematische Charaktere anlockt, und wenn sie das vorher noch nicht sind, werden sie dadurch verdorben. Es ist kein Zufall, dass von den Generalsekretären des Kabinetts Kurz einige einen ganz unrühmlichen Abschied genommen haben.

Die Art, wie unter Kurz I regiert wurde, war ein erster Weg in eine andere Staatsform."

Wieder war es still im Saal. Der sonst so vorsichtige und zurückhaltende Clemens Jabloner hatte alle überrascht.

„Irgendjemand muss das ja sagen“, sagte dieser nach der Veranstaltung.

*

Über eine ganz andere Art der Entfremdung geht es in der aktuellen Titel-Geschichte von Angelika Hager. Und es nicht nur ein Hollywood-Phänomen, das berühmte Kinder berühmter Eltern betrifft: Die Popsängerin Adele, die mit ihrem alkoholkranken Vater nichts mehr zu tun haben möchte und  in einer Dankesrede an ihren Manager sagte: „Dich liebe ich wie einen Vater, den ich übrigens nicht liebe.”  Der ehemalige Kinderstar Drew Barrymore, die sich vor einem Gericht mit 15 Jahren für volljährig erklären ließ, weil ihre Eltern „sie nicht schützten” und die Mutter zum „härtesten Thema“ ihres Lebens wurde.

Fassungslosigkeit, Wut, Verzweiflung und Sätze  wie: „Wir wollten doch nur das Beste” oder „Es hat unserem Kind doch an nichts gefehlt” – das ist der Zustand von Eltern, deren Kinder in der Funkstille verschwunden sind.

„Eine Funkstille, die immer auch als Notsignal gewertet werden soll”, so die Grazerin Gisela Kurath, psychosoziale Beraterin und Gründerin des Vereins „Das Haus von morgen”. - „Denn kein Kind kappt aus einer Laune heraus den Kontakt mit seinen Wurzeln.”

Kurath spricht nicht nur als Expertin, sondern auch aus leidvoller Erfahrung: Ihre Kinder entzogen sich ihr radikal nach der Trennung von ihrem Mann.

In Gesprächsprotokollen mit Betroffenen und  Interviews mit Psychotherapeuten zum richtigen Verhalten in solchen Extremsituationen porträtiert Hager ein wachsendes Phänomen, „das weit mehr Menschen betrifft, als man glauben möchte, aber vor allem seitens der Eltern noch mit einem großen Schamgefühl, versagt zu haben, verheimlicht wird.”

Trost und Rat, und einen nachdenklichen Wochenbeginn, wünscht Ihnen

Christa Zöchling

Christa   Zöchling

Christa Zöchling